Sämtliche Werke
vermummt vom Haupt bis zu den Füßen, die Kapuze über das Gesicht gezogen und in der Hand eine Klapper tragend, die sogenannte Lazarusklapper, womit sie ihre Nähe ankündigten, damit ihnen jeder zeitig aus dem Wege gehen konnte. Der arme Klerikus, von dessen Ruhm als Liederdichter die obgenannte »Limburger Chronik« gesprochen, war nun ein solcher Misselsüchtiger, und er saß traurig in der Öde seines Elends, während jauchzend und jubelnd ganz Deutschland seine Lieder sang und pfiff! Oh, dieser Ruhm war die uns wohlbekannte Verhöhnung, der grausame Spaß Gottes, der auch hier derselbe ist, obgleich er diesmal im romantischern Kostüme des Mittelalters erscheint. Der blasierte König von Judäa sagte mit Recht: »Es gibt nichts Neues unter der Sonne« – Vielleicht ist diese Sonne selbst ein alter aufgewärmter Spaß, der, mit neuen Strahlen geflickt, jetzt so imposant funkelt!
Manchmal in meinen trüben Nachtgesichten glaube ich den armen Klerikus der »Limburger Chronik«, meinen Bruder in Apoll, vor mir zu sehen, und seine leidenden Augen lugen sonderbar stier hervor aus seiner Kapuze; aber im selben Augenblick huscht er von dannen, und verhallend, wie das Echo eines Traumes, hör ich die knarrenden Töne der Lazarusklapper.
Anhang
I
Es sind nicht bloß die Franzosen und der Kaiser, welche zu Waterloo unterlagen – die Franzosen stritten dort freilich für ihren eignen Herd, aber sie waren zu gleicher Zeit die heiligen Kohorten, welche die Sache der Revolution vertraten, und ihr Kaiser kämpfte hier nicht sowohl für seine Krone als auch für das Banner der Revolution, das er trug; er war der Gonfaloniere der Demokratie, wie Wellington der Fahnenjunker der Aristokratie war, als beider Heere auf dem Blachfelde von Waterloo sich gegenüberstanden – Und diese letztere siegte, die schlechte Sache des verjährten Vorrechts, der servile Knechtsinn und die Lüge triumphierten, und es waren die Interessen der Freiheit, der Gleichheit, der Brüderschaft, der Wahrheit und der Vernunft, es war die Menschheit, welche zu Waterloo die Schlacht verloren. Wir in Deutschland, wir waren nicht die Düpes jener plenipotentiaren Tartüffe, welche, mit der rohen Übermacht die feige Heuchelei verbindend, in ihren Proklamationen erklärten, daß sie nur gegen einen einzigen Menschen, der Napoleon Bonaparte heiße, den Krieg führten: wir wußten sehr gut, daß man, wie das Sprichwort sagt, auf den Sack schlägt und den Esel meint, daß man in jenem einzigen Mann auch uns schlug, auch uns verhöhnte, uns kreuzigte, daß der »Bellerophon« auch uns transportierte, daß Hudson Lowe auch uns quälte, daß der Marterfelsen von Sankt Helena unser eignes Golgatha war und unsre erste Leidensstation Waterloo hieß!
Waterloo! fataler Name! Es vergingen viele Jahre, und wir konnten diesen Namen nicht nennen hören, ohne daß alle Schlangen des ohnmächtigen Zorns in unsrer Brust aufzischten und uns die Ohren gellten wie vom Hohngelächter unsrer Feinde. Ihren Speichel fühlten wir alsdann auf den errötenden Wangen – Gottlob, der schnöde Zauber ist jetzt gebrochen, und die herzzerreißende, verzweiflungsvolle Bedeutung jenes Namens ist jetzt verschwunden!
Welchem mirakulosen Ereignisse wir die Befreiung vom Waterloo-Alp verdanken, ist bekannt. Schon durch die Juliusrevolution ward uns eine große Satisfaktion gewährt, sie war jedoch nicht komplett; es war nur Balsam für die alte Wunde, die aber noch nicht vernarben konnte. Die Franzosen hatten freilich die ältere Bourbonenlinie weggejagt, welche mit dem doppelten Unglück behaftet war, daß sie den Besiegten von den fremden Siegern aufgedrungen worden, nachdem dieses alte, abgelebte Königsgeschlecht vorher die schrecklichste Beleidigung in Frankreich erduldet hatte. Die schmachvolle Hinrichtung des gutmütigen und menschenfreundlichen Ludwigs XVI., dieses schauderhafte Vergehen, konnte zwar bei den Beleidigten Verzeihung finden, aber nimmermehr bei den Beleidigern; denn der Beleidiger verzeiht nie. Der 21. Januar war in der Tat ein zu unvergeßliches Datum, als daß ein Franzose ruhig schlafen konnte, solange ein Bourbone von der ältern Linie auf dem Throne Frankreichs saß; diese Linie war unmöglich geworden und mußte früh oder spät, gleich einem Geschwür, aus dem französischen Staatskörper ausgeschnitten werden, ganz so, wie es den Stuarts in England geschah, als dort ähnliche Ursachen der Scham und des Mißtrauens obwalteten. Ludwig Philipp und seine Familie war
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