Sämtliche Werke
war der Hofnarr.
Oh, deutsches Vaterland! teures deutsches Volk! ich bin dein Kunz von der Rosen. Der Mann, dessen eigentliches Amt die Kurzweil und der dich nur belustigen sollte in guten Tagen, er dringt in deinen Kerker zur Zeit der Not; hier unter dem Mantel bringe ich dir dein starkes Zepter und die schöne Krone – erkennst du mich nicht, mein Kaiser? Wenn ich dich nicht befreien kann, so will ich dich wenigstens trösten, und du sollst jemanden um dir haben, der mit dir schwatzt über die bedränglichste Drangsal und dir Mut einspricht und dich liebhat und dessen bester Spaß und bestes Blut zu deinen Diensten steht. Denn du, mein Volk, bist der wahre Kaiser, der wahre Herr der Lande – dein Wille ist souverän und viel legitimer als jenes purpurne Tel est notre plaisir, das sich auf ein göttliches Recht beruft, ohne alle andre Gewähr als die Salbadereien geschorener Gaukler – dein Wille, mein Volk, ist die alleinig rechtmäßige Quelle aller Macht. Wenn du auch in Fesseln daniederliegst, so siegt doch am Ende dein gutes Recht, es naht der Tag der Befreiung, eine neue Zeit beginnt – mein Kaiser, die Nacht ist vorüber, und draußen glüht das Morgenrot.
»Kunz von der Rosen, mein Narr, du irrst dich, ein blankes Beil hältst du vielleicht für eine Sonne, und das Morgenrot ist nichts als Blut.«
»Nein, mein Kaiser, es ist die Sonne, obgleich sie im Westen hervorsteigt – seit sechstausend Jahren sah man sie immer aufgehen im Osten, da wird es wohl Zeit, daß sie mal eine Verändrung vornehme in ihrem Lauf.«
»Kunz von der Rosen, mein Narr, du hast ja die Schellen verloren von deiner roten Mütze, und sie hat jetzt so ein seltsames Ansehen, die rote Mütze.«
»Ach, mein Kaiser, ich habe ob Eurer Not so wütend ernsthaft den Kopf geschüttelt, daß die närrischen Schellen abfielen von der Mütze; sie ist aber darum nicht schlechter geworden.«
»Kunz von der Rosen, mein Narr, was bricht und kracht da draußen?«
»Seid still! das ist die Säge und die Zimmermannsaxt, und bald brechen zusammen die Pforten Eures Kerkers, und Ihr seid frei, mein Kaiser!«
»Bin ich denn wirklich Kaiser? Ach, es ist ja der Narr, der es mir sagt!«
»Oh, seufzt nicht, mein lieber Herr, die Kerkerluft macht Euch so verzagt; wenn Ihr erst wieder Eure Macht errungen, fühlt Ihr auch wieder das kühne Kaiserblut in Euren Adern, und Ihr seid stolz wie ein Kaiser und übermütig und genädig und ungerecht und lächelnd und undankbar, wie Fürsten sind.«
»Kunz von der Rosen, mein Narr, wenn ich wieder frei werde, was willst du dann anfangen?«
»Ich will mir dann neue Schellen an meine Mütze nähen.«
»Und wie soll ich deine Treue belohnen?«
»Ach! lieber Herr, laßt mich nicht umbringen.«
Aphorismen und Fragmente
(Aus dem Nachlass. Passagen in Winkelklammern wurden von Heine gestrichen.)
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Wir haben das körperliche Indien gesucht und haben Amerika gefunden; wir suchen jetzt das geistige Indien – was werden wir finden?
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Wie überhaupt jeder einen bestimmten Gegenstand in der Sinnenwelt auf eine andre Weise sieht, so sieht auch jeder in einem bestimmten Buche etwas anderes als der andre. Folglich muß auch der Übersetzer ein geistig begabter Mensch sein, denn er muß im Buche das Bedeutendste und Beste sehen, um dasselbe wiederzugeben. Den Wortverstand, den körperlichen Sinn kann jeder übersetzen, der eine Grammatik gelesen und ein Wörterbuch sich angeschafft hat. Nicht kann aber der Geist von jedem übersetzt werden. Möchte dies nur bedenken jener nüchterne, prosaische Übersetzer Scottscher Romane, der so sehr prahlt mit seiner Übersetzungstreue und über das »braune Bier« so hübsch lacht et sic porro. Wie es auf den Geist ankommt, beweise zunächst Forsters Wiederübersetzung der »Sakontala«.
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Es ist zu wünschen, daß sich das Genie des Sanskritstudiums bemächtige; tut es der Notizengelehrte, so bekommen wir bloß – ein gutes Kompendium.
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Der Indier konnte nur ungeheu’r große Gedichte liefern, weil er nichts aus dem Weltzusammenhang schneiden konnte, wie überhaupt der Anschauungsmensch; die ganze Welt ist ein Gedicht, wovon der »Mahabharata« nur ein Kapitel. – Vergleich der indischen mit unsrer Mystik, diese übt den Scharfsinn an Zerteilung und Zusammensetzung der Materie, bringt es aber nicht zum Begriff. – Anschauungsideen, etwas, das wir gar nicht kennen. – Die indische Muse ist die träumende Prinzessin in dem Märchen –
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Goethe, im Anfang des
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