Sämtliche Werke
wurden, in der guten alten Zeit. Daß die Franzosen mit jener Maschine sogar das Oberhaupt ihres Staates amputiert, ist freilich entsetzlich, und man weiß nicht, ob man sie deshalb des Vatermords oder des Selbstmords beschuldigen soll; aber bei milderungsgründlicher Betrachtung finden wir, daß Ludwig von Frankreich minder ein Opfer der Leidenschaften als vielmehr der Begebenheiten geworden und daß diejenigen Leute, die das Volk zu solchem Opfer drängten und die selbst, zu allen Zeiten, in weit reichlicherem Maße, Fürstenblut vergossen haben, nicht als laute Kläger auftreten sollten. Nur zwei Könige, beide vielmehr Könige des Adels als des Volkes, hat das Volk geopfert, nicht in Friedenszeit, nicht niedriger Interessen wegen, sondern in äußerster Kriegsbedrängnis, als es sich von ihnen verraten sah und während es seines eignen Blutes am wenigsten schonte; aber gewiß mehr als tausend Fürsten fielen meuchlings, und der Habsucht oder frivoler Interessen wegen, durch den Dolch, durch das Schwert und durch das Gift des Adels und der Pfaffen. Es ist, als ob diese Kasten den Fürstenmord ebenfalls zu ihren Privilegien rechneten und deshalb den Tod Ludwigs XVI. und Karls I. um so eigennütziger beklagten. Oh, daß die Könige endlich einsähen, daß sie, als Könige des Volkes, im Schutze der Gesetze viel sicherer leben können als unter der Garde ihrer adligen Leibmörder!
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Aber nicht bloß die Helden der Revolution und die Revolution selbst, sondern sogar unser ganzes Zeitalter hat man verleumdet, die ganze Liturgie unserer heiligsten Ideen hat man parodiert, mit unerhörtem Frevel, und wenn man sie hört oder liest, unsere schnöden Verächter, so heißt das Volk die Kanaille, die Freiheit heißt Frechheit, und mit himmelnden Augen und frommen Seufzern wird geklagt und bedauert, wir wären frivol und hätten leider keine Religion. Heuchlerische Duckmäuser, die unter der Last ihrer geheimen Sünden niedergebeugt einherschleichen, wagen es, ein Zeitalter zu lästern, das vielleicht das heiligste ist von allen seinen Vorgängern und Nachfolgern, ein Zeitalter, das sich opfert für die Sünden der Vergangenheit und für das Glück der Zukunft, ein Messias unter den Jahrhunderten, der die blutige Dornenkrone und die schwere Kreuzlast kaum ertrüge, wenn er nicht dann und wann ein heiteres Vaudeville trällerte und Späße risse über die neueren Pharisäer und Sadduzäer. Die kolossalen Schmerzen wären nicht zu ertragen ohne solche Witzreißerei und Persiflage! Der Ernst tritt um so gewaltiger hervor, wenn der Spaß ihn angekündigt. Die Zeit gleicht hierin ganz ihren Kindern unter den Franzosen, die sehr scherzliche, leichtfertige Bücher geschrieben und doch sehr streng und ernsthaft sein konnten, wo Strenge und Ernst notwendig wurden; z.B. Du Clos und gar Louvet de Couvray, die beide, wo es galt, mit Märtyrerkühnheit und Aufopferung für die Freiheit stritten, übrigens aber sehr frivol und schlüpfrig schrieben und leider keine Religion hatten.
Als ob die Freiheit nicht ebensogut eine Religion wäre als jede andere! Da es die unsrige ist, so könnten wir, mit demselben Maße messend, ihre Verächter für frivol und irreligios erklären.
Ja, ich wiederhole die Worte, womit ich diese Blätter eröffnet: Die Freiheit ist eine neue Religion, die Religion unserer Zeit. Wenn Christus auch nicht der Gott dieser Religion ist, so ist er doch ein hoher Priester derselben, und sein Name strahlt beseligend in die Herzen der Jünger. Die Franzosen sind aber das auserlesene Volk der neuen Religion, in ihrer Sprache sind die ersten Evangelien und Dogmen verzeichnet, Paris ist das neue Jerusalem, und der Rhein ist der Jordan, der das geweihte Land der Freiheit trennt von dem Lande der Philister.
Schlußwort
Geschrieben den 29. November 1830
Es war eine niedergedrückte, arretierte Zeit in Deutschland, als ich den zweiten Band der »Reisebilder« schrieb und während des Schreibens drucken ließ. Ehe er aber erschien, verlautete schon etwas davon im Publikum, es hieß, mein Buch wolle den eingeschüchterten Freiheitsmut wieder aufmuntern und man treffe schon Maßregeln, es ebenfalls zu unterdrücken. Bei solchem Gerüchte war es ratsam, das Werk um so schneller zu fördern und aus der Presse zu jagen. Da es eine gewisse Bogenzahl enthalten mußte, um den Ansprüchen einer hochlöblichen Zensur zu entgehen, so glich ich in jener Not dem Benvenuto Cellini, als er beim Guß des Perseus nicht Erz genug hatte und, zur
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