Sämtliche Werke
Füllung der Form, alle zinnernen Teller, die ihm zur Hand lagen, in den Schmelzofen warf. Es war gewiß leicht, das Zinn, besonders das zinnerne Ende des Buches, von dem besseren Erze zu unterscheiden; doch wer das Handwerk verstand, verriet den Meister nicht.
Wie aber alles in der Welt wiederkehren kann, so geschieht es auch, daß sich zufälligerweise bei diesen »Nachträgen« eine ähnliche Bedrängnis ereignet, und ich habe wieder eine Menge Zinn in den Guß werfen müssen, und ich wünsche, daß man meine Zinngießereien nur der Zeitnot zuschreibe.
Ach! ist ja das ganze Buch aus der Zeitnot hervorgegangen, ebenso wie die früheren Schriften ähnlicher Richtung; die näheren Freunde des Verfassers, die seiner Privatverhältnisse kundig sind, wissen sehr gut, wie wenig ihn die eigne Selbstsucht zur Tribüne drängt und wie groß die Opfer sind, die er bringen muß, für jedes freie Wort, das er seitdem gesprochen – und, will’s Gott!, noch sprechen wird. Jetzt ist das Wort eine Tat, deren Folgen sich nicht abmessen lassen; kann doch keiner genau wissen, ob er nicht gar am Ende als Blutzeuge auftreten muß für das Wort.
Seit mehreren Jahren warte ich vergebens auf das Wort jener kühnen Redner, die einst in den Versammlungen der deutschen Burschenschaft so oft ums Wort baten und mich so oft durch ihre rhetorischen Talente überwunden und eine so vielversprechende Sprache gesprochen; sie waren sonst so vorlaut und sind jetzt so nachstill. Wie schmähten sie damals die Franzen und das welsche Babel und den undeutschen, frivolen Vaterlandsverräter, der das Franzentum lobte. Jenes Lob hat sich bewährt in der großen Woche.
Ach, die große Woche von Paris! Der Freiheitsmut, der von dort herüberwehte nach Deutschland, hat freilich hie und da die Nachtlichter umgeworfen, so daß die roten Gardinen an einigen Thronen in Brand gerieten und die goldnen Kronen heiß wurden unter den lodernden Schlafmützen; – aber die alten Häscher, denen die Reichspolizei anvertraut, schleppen schon die Löscheimer herbei und schnüffeln jetzt um so wachsamer und schmieden um so fester die heimlichen Ketten, und ich merke schon, unsichtbar wölbt sich eine noch dichtere Kerkermauer um das deutsche Volk.
Armes, gefangenes Volk! verzage nicht in deiner Not – Oh, daß ich Katapulta sprechen könnte! Oh, daß ich Falarika hervorschießen könnte aus meinem Herzen!
Von meinem Herzen schmilzt die vornehme Eisrinde, eine seltsame Wehmut beschleicht mich – ist es Liebe, und gar Liebe für das deutsche Volk? Oder ist es Krankheit? – meine Seele bebt, und es brennt mir im Auge, und das ist ein ungünstiger Zustand für einen Schriftsteller, der den Stoff beherrschen und hübsch objektiv bleiben soll, wie es die Kunstschule verlangt und wie es auch Goethe getan – er ist achtzig Jahr dabei alt geworden und Minister und wohlhabend – armes deutsches Volk! das ist dein größter Mann!
Es fehlen mir noch einige Oktavseiten, und ich will deshalb noch eine Geschichte erzählen – sie schwebt mir schon seit gestern im Sinne –, es ist eine Geschichte aus dem Leben Karls V. Doch ist es schon lange her, seit ich sie vernahm, und ich weiß die besonderen Umstände nicht mehr ganz genau. So was vergißt sich leicht, wenn man kein bestimmtes Gehalt dafür bezieht, daß man die alten Geschichten alle halbe Jahre vom Hefte abliest. Was ist aber auch daran gelegen, wenn man die Ortsnamen und Jahrzahlen der Geschichten vergessen hat; wenn man nur ihre innere Bedeutung, ihre Moral, im Gedächtnisse behalten. Diese ist es eigentlich, die mir im Sinne klingt und mich wehmütig bis zu Tränen stimmt. Ich fürchte, ich werde krank.
Der arme Kaiser war von seinen Feinden gefangengenommen und saß in schwerer Haft. Ich glaube, es war in Tirol. Da saß er, in einsamer Betrübnis, verlassen von allen seinen Rittern und Höflingen, und keiner kam ihm zu Hülfe. Ich weiß nicht, ob er schon damals jenes käsebleiche Gesicht hatte, wie es auf den Bildern von Holbein abkonterfeit ist. Aber die menschenverachtende Unterlippe trat gewiß noch gewaltsamer hervor als auf jenen Bildern. Mußte er doch die Leute verachten, die, im Sonnenschein des Glückes, ihn so ergeben umwedelt und ihn jetzt allein ließen in dunkler Not. Da öffnete sich plötzlich die Kerkertüre, und herein trat ein verhüllter Mann, und wie dieser den Mantel zurückschlug, erkannte der Kaiser seinen treuen Kunz von der Rosen, den Hofnarren. Dieser brachte ihm Trost und Rat, und es
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