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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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diesem der Protestantismus und aus dem Protestantismus die deutsche Philosophie hervorging.
    Indem ich nun mit Besprechung der Religion beginne, bitte ich im voraus alle frommen Seelen, sich beileibe nicht zu ängstigen. Fürchtet nichts, fromme Seelen! Keine profanierende Scherze sollen euer Ohr verletzen. Diese sind allenfalls noch nützlich in Deutschland, wo es gilt, die Macht der Religion für den Augenblick zu neutralisieren. Wir sind nämlich dort in derselben Lage wie ihr vor der Revolution, als das Christentum im untrennbarsten Bündnisse stand mit dem alten Regime. Dieses konnte nicht zerstört werden, solange noch jenes seinen Einfluß übte auf die Menge. Voltaire mußte sein scharfes Gelächter erheben, ehe Sanson sein Beil fallen lassen konnte. Jedoch wie durch dieses Beil, so wurde auch durch jenes Lachen im Grunde nichts bewiesen, sondern nur bewirkt. Voltaire hat nur den Leib des Christentums verletzen können. Alle seine Späße, die aus der Kirchengeschickte geschöpft, alle seine Witze über Dogmatik und Kultus, über die Bibel, dieses heiligste Buch der Menschheit, über die Jungfrau Maria, diese schönste Blume der Poesie, das ganze Diktionär philosophischer Pfeile, das er gegen Klerus und Priesterschaft losschoß, verletzte nur den sterblichen Leib des Christentums, nicht dessen inneres Wesen, nicht dessen tieferen Geist, nicht dessen ewige Seele.
    Denn das Christentum ist eine Idee und als solche unzerstörbar und unsterblich wie jede Idee. Was ist aber diese Idee?
    Eben weil man diese Idee noch nicht klar begriffen und Äußerlichkeiten für die Hauptsache gehalten hat, gibt es noch keine Geschichte des Christentums. Zwei entgegengesetzte Parteien schreiben die Kirchengeschichte und widersprechen sich beständig, doch die eine, ebensowenig wie die andere, wird jemals bestimmt aussagen, was eigentlich jene Idee ist, die dem Christentum als Mittelpunkt dient, die sich in dessen Symbolik, im Dogma wie im Kultus, und in dessen ganzer Geschichte zu offenbaren strebt und im wirklichen Leben der christlichen Völker manifestiert hat! Weder Baronius, der katholische Kardinal, noch der protestantische Hofrat Schröckh entdeckt uns, was eigentlich jene Idee war. Und wenn ihr alle Folianten der Mansischen Konziliensammlung, des Assemanischen Kodex der Liturgien und die ganze Historia ecclesiastica von Saccharelli durchblättert, werdet ihr doch nicht einsehen, was eigentlich die Idee des Christentums war. Was seht ihr denn in den Historien der orientalischen und der okzidentalischen Kirchen? In jener, der orientalischen Kirchengeschichte, seht ihr nichts als dogmatische Spitzfündigkeiten, wo sich die altgriechische Sophistik wieder kundgibt; in dieser, in der okzidentalischen Kirchengeschichte, seht ihr nichts als disziplinarische, die kirchlichen Interessen betreffende Zwiste, wobei die altrömische Rechtskasuistik und Regierungskunst, mit neuen Formeln und Zwangsmitteln, sich wieder geltend machen. In der Tat, wie man in Konstantinopel über den Logos stritt, so stritt man in Rom über das Verhältnis der weltlichen zur geistlichen Macht; und wie etwa dort über homousios, so befehdete man sich hier über Investitur. Aber die byzantinischen Fragen: ob der Logos dem Gott-Vater homousios sei? ob Maria Gottgebärerin heißen soll oder Menschengebärerin? ob Christus in Ermangelung der Speise hungern mußte oder nur deswegen hungerte, weil er hungern wollte? alle diese Fragen haben im Hintergrund lauter Hofintrigen, deren Lösung davon abhängt, was in den Gemächern des Sacri Palatii gezischelt und gekichert wird, ob z.B. Eudoxia fällt oder Pulcheria; – denn diese Dame haßt den Nestorius, den Verräter ihrer Liebeshändel, jene haßt den Cyrillus, welchen Pulcheria beschützt, alles bezieht sich zuletzt auf lauter Weiber- und Hämlingsgeklätsche, und im Dogma wird eigentlich der Mann und im Manne eine Partei verfolgt oder befördert. Ebenso geht’s im Okzident; Rom wollte herrschen; »als seine Legionen gefallen, schichte es Dogmen in die Provinzen«; alle Glaubenszwiste hatten römische Usurpationen zum Grunde; es galt, die Obergewalt des römischen Bischofs zu konsolidieren. Dieser war über eigentliche Glaubenspunkte immer sehr nachsichtig, spie aber Feuer und Flamme, sobald die Rechte der Kirche angegriffen wurden; er disputierte nicht viel über die Personen in Christus, sondern über die Konsequenzen der Isidorschen Dekretalen; er zentralisierte seine Gewalt durch kanonisches Recht,

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