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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Seele ihren Schatten werfe über das Antlitz des stillen Mädchens. Die beiden Bilder hingen nahe nebeneinander, und es war um so bemerkbarer, daß auf dem des Faustes aller Lichteffekt dem Gesichte gewidmet worden, daß hingegen auf Gretchens Bild weniger das Gesicht und desto mehr dessen Umrisse beleuchtet sind. Letzteres erhielt dadurch noch etwas unbeschreibbar Magisches. Gretchens Mieder ist saftig grün, ein schwarzes Käppchen bedeckt ihre Scheitel, aber ganz spärlich, und von beiden Seiten dringt ihr schlichtes, goldgelbes Haar um so glänzender hervor. Ihr Gesicht bildet ein rührend edles Oval, und die Züge desselben sind von einer Schönheit, die sich selbst verbergen möchte aus Bescheidenheit. Sie ist die Bescheidenheit selbst, mit ihren lieben blauen Augen. Es zieht eine stille Träne über die schöne Wange, eine stumme Perle der Wehmut. Sie ist zwar Wolfgang Goethes Gretchen, aber sie hat den ganzen Friedrich Schiller gelesen, und sie ist viel mehr sentimental als naiv und viel mehr schwer idealisch als leicht graziös. Vielleicht ist sie zu treu und zu ernsthaft, um graziös sein zu können, denn die Grazie besteht in der Bewegung. Dabei hat sie etwas so Verläßliches, so Solides, so Reelles wie ein barer Louisdor, den man noch in der Tasche hat. Mit einem Wort, sie ist ein deutsches Mädchen, und wenn man ihr tief hineinschaut in die melancholischen Veilchen, so denkt man an Deutschland, an duftige Lindenbäume, an Höltys Gedichte, an den steinernen Roland vor dem Rathaus, an den alten Konrektor, an seine rosige Nichte, an das Forsthaus mit den Hirschgeweihen, an schlechten Tabak und gute Gesellen, an Großmutters Kirchhofgeschichten, an treuherzige Nachtwächter, an Freundschaft, an erste Liebe und allerlei andere süße Schnurrpfeifereien. – Wahrlich, Scheffers Gretchen kann nicht beschrieben werden. Sie hat mehr Gemüt als Gesicht. Sie ist eine gemalte Seele. Wenn ich bei ihr vorüberging, sagte ich immer unwillkürlich: »Liebes Kind!«
    Leider finden wir Scheffers Manier in allen seinen Bildern, und wenn sie seinem Faust und Gretchen angemessen ist, so mißfällt sie uns gänzlich bei Gegenständen, die eine heitere, klare, farbenglühende Behandlung erforderten, z.B. bei einem kleinen Gemälde, worauf tanzende Schulkinder. Mit seinen gedämpften, freudlosen Farben hat uns Scheffer nur einen Rudel kleiner Gnomen dargestellt. Wie bedeutend auch sein Talent der Porträtierung ist, ja, wie sehr ich hier seine Originalität der Auffassung rühmen muß, so sehr widersteht mir auch hier seine Farbengebung. Es gab aber ein Porträt im Salon, wofür eben die Scheffersche Manier ganz geeignet war. Nur mit diesen unbestimmten, gelogenen, gestorbenen, charakterlosen Farben konnte der Mann gemalt werden, dessen Ruhm darin besteht, daß man auf seinem Gesichte nie seine Gedanken lesen konnte, ja, daß man immer das Gegenteil darauf las. Es ist der Mann, dem wir hinten Fußtritte geben könnten, ohne daß vorne das stereotype Lächeln von seinen Lippen schwände. Es ist der Mann, der vierzehn falsche Eide geschworen und dessen Lügentalente von allen aufeinanderfolgenden Regierungen Frankreichs benutzt wurden, wenn irgendeine tödliche Perfidie ausgeübt werden sollte, so daß er an jene alte Giftmischerin erinnert, an jene Lokusta, die, wie ein frevelhaftes Erbstück, im Hause des Augustus lebte und schweigend und sicher dem einen Cäsar nach dem andern und dem einen gegen den andern zu Dienste stand mit ihrem diplomatischen Tränklein. Wenn ich vor dem Bilde des falschen Mannes stand, den Scheffer so treu gemalt, dem er mit seinen Schierlingsfarben sogar die vierzehn falschen Eide ins Gesicht hineingemalt, dann durchfröstelte mich der Gedanke: wem gilt wohl seine neueste Mischung in London?
    Scheffers Heinrich IV. und Ludwig Philipp I., zwei Reitergestalten in Lebensgröße, verdienen jedenfalls eine besondere Erwähnung. Ersterer, le roi par droit de conquête et par droit de naissance, hat vor meiner Zeit gelebt; ich weiß nur, daß er einen henri-quatre getragen, und ich kann nicht bestimmen, inwieweit er getroffen ist. Der andere, le roi des barricades, le roi par la grâce du peuple souverain, ist mein Zeitgenosse, und ich kann urteilen, ob sein Porträt ihm ähnlich sieht oder nicht. Ich sah letzteres, ehe ich das Vergnügen hatte, Se. Majestät den König selbst zu sehen, und ich gestehe, ich erkannte ihn dennoch nicht im ersten Augenblick. Ich sah ihn vielleicht in einem allzusehr erhöhten

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