Sämtliche Werke
meiner Freunde, ein Justemillionär, hatte die Güte, letzten Mardigras mich in Paris herumzuführen und mir durch den Augenschein zu zeigen, wie glücklich und heiter das Volk sei. Er ließ an jenem Tage auch alle seine Bedienten ausgehen und befahl ihnen ausdrücklich, sich recht viel Vergnügen zu machen. Vergnügt faßte er meinen Arm und rannte vergnügt mit mir durch die Straßen und lachte zuweilen recht laut. An der Porte St. Martin, auf dem feuchten Pflaster, lag ein todblasser, röchelnder Mensch, von welchem die umstehenden Gaffer behaupteten, er sterbe vor Hunger. Mein Begleiter aber versicherte mir, daß dieser Mensch alle Tage auf einer andern Straße vor Hunger sterbe und daß er davon lebe, indem ihn nämlich die Karlisten dafür bezahlten, durch solches Schauspiel das Volk gegen die Regierung zu verhetzen. Dieses Handwerk muß jedoch schlecht bezahlt werden, da viele dabei wirklich vor Hunger sterben. Es ist eine eigene Sache mit dem Verhungern; man würde hier täglich viele tausend Menschen in diesem Zustand sehen, wenn sie es nur längere Zeit darin aushalten könnten. So aber, gewöhnlich nach drei Tagen, welche ohne Nahrung verbracht worden, sterben die armen Hungerleider, einer nach dem andern, und sie werden still eingescharrt, und man bemerkt sie kaum.
»Sehen Sie, wie glücklich das Volk ist«, bemerkte mein Begleiter, indem er mir die vielen Wagen voll Masken zeigte, die laut jubelten und die lustigsten Narreteien trieben. Die Boulevards gewährten wirklich einen überaus ergötzlich bunten Anblick, und ich dachte an das alte Sprüchwort: »Wenn der liebe Gott sich im Himmel langweilt, dann öffnet er das Fenster und betrachtet die Boulevards von Paris.« Nur wollte es mich bedünken, als sei dabei mehr Gendarmerie aufgestellt, als zu einem harmlosen Vergnügen eben notwendig gewesen. Ein Republikaner, der mir begegnete, verdarb mir den Spaß, indem er mir versicherte, die meisten Masken, die sich am lustigsten gebärdeten, habe die Polizei eigens dafür bezahlt, damit man nicht klage, das Volk sei nicht mehr vergnügt. Inwieweit dieses wahr sein mag, will ich nicht bestimmen; die maskierten Männer und Weiber schienen sich ganz von innen heraus zu belustigen, und wenn die Polizei sie noch besonders dafür bezahlte, so war das sehr artig von der Polizei. Was ihre Einwirkung besonders verraten konnte, waren die Gespräche der maskierten gemeinen Kerle und öffentlichen Dirnen, die in ertrödelten Hoftrachten, mit Schönpflästerchen auf den geschminkten Gesichtern, die Vornehmheit der vorigen Regierung parodistisch nachäfften, sich mit karlistischen Namen titulierten und sich dabei so hoffärtig fächerten und spreizten, daß ich mich unwillkürlich der hohen Festivitäten erinnerte, die ich als Knabe die Ehre hatte, von der Galerie herab zu betrachten; nur daß die Pariser Poissarden ein besseres Französisch sprachen als die Kavaliere und gnädigen Fräulein meines Vaterlandes.
Um diesem letztern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, gestehe ich, daß der diesjährige Bœuf-gras gar kein Aufsehen in Deutschland gemacht haben würde. Ein Deutscher mußte über diesen unbedeutenden Ochsen lächeln, ob dessen Größe man sich hier besonders wunderte. Mit Anspielungen auf diesen armen Ochsen waren eine Woche lang die kleinen Blätter gefüllt; daß er gros, gras et bête gewesen, war ein stehender Witz, und in Karikaturen parodierte man auf die gehässigste Weise den Zug dieses quasi-fetten Ochsen. Schon hieß es, man würde dieses Jahr den Zug verbieten; aber man besann sich eines Besseren. Von so vielen überlieferten Volksspäßen ist fast allein der Zug des Bœuf-gras in Frankreich übriggeblieben. Den absoluten Thron, den Parc-des-cerfs, das Christentum, die Bastille und andere ähnliche Institute aus der guten alten Zeit hat die Revolution niedergerissen; der Ochs allein ist geblieben. Darum wird er auch im Triumphe durch die Stadt geführt, bekränzt mit Blumen und umgeben von Metzgerknechten, die meistens mit Helm und Harnischen bekleidet sind und die diesen eisernen Plunder von den verstorbenen Rittern als nächste Wahlverwandte geerbt haben. Es ist sehr leicht, die Bedeutung der öffentlichen Mummereien einzusehen. Schwerer ist es, die geheime Maskerade zu durchschauen, die hier in allen Verhältnissen zu finden ist. Dieser größere Karneval beginnt mit dem ersten Januar und endigt mit dem einunddreißigsten Dezember. Die glänzendsten Redouten desselben sieht man im Palais
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