Sämtliche Werke
er unverletzlich, inviolable, und nur seine Minister können wegen schlechter Regierung angeklagt, verurteilt und bestraft werden. Der Kommentator der englischen Konstitution, Blackstone, begeht einen Mißgriff, wenn er die Unverantwortlichkeit des Königs zu dessen Prärogativen zählt. Diese Ansicht schmeichelt einem Könige mehr, als sie ihm nützt. In den Ländern des politischen Protestantismus, in konstitutionellen Ländern, will man die Rechte der Fürsten vielmehr in der Vernunft begründet wissen, und diese gewährt hinlängliche Gründe für ihre Unverletzlichkeit, wenn man annimmt, daß sie nicht selbst handeln können und also deshalb nicht zurechnungsfähig, nicht verantwortlich, nicht bestrafbar sind, wie jeder, der nicht selbst handelt. Der Grundsatz »the king cannot do wrong« mag also insofern man die Unverantwortlichkeit darauf gründet, nur dadurch seine Gültigkeit erlangen, daß man hinzusetzt: because he does nothing. Aber an der Stelle des konstitutionellen Königs handeln die Minister, und daher sind diese verantwortlich. Sie handeln selbständig, dürfen jedes königliche Ansinnen, womit sie nicht übereinstimmen, geradezu abweisen und, im Fall dem Könige ihre Regierungsart mißfällt, sich ganz zurückziehen. Ohne solche Freiheit des Willens wäre die Verantwortlichkeit der Minister, die sie durch die Kontrasignatur bei jedem Regierungsakte sich aufbürden, eine heillose Ungerechtigkeit, eine Grausamkeit, ein Widersinn, es wäre gleichsam die Lehre vom Sündenbocke in das Staatsrecht eingeführt. Aus demselben Grund sind die Minister eines absoluten Fürsten ganz unverantwortlich, außer gegen diesen selbst; wie dieser nur Gott, so sind jene nur ihrem unumschränkten Herrn Rechenschaft schuldig. Sie sind nur seine untergebenen Gehülfen, seine getreuen Diener, und müssen ihm unbedingt gehorchen. Ihre Kontrasignatur dient nur, die Echtheit der Ausfertigung und der fürstlichen Unterschrift zu beglaubigen. Man hat freilich nach dem Tode der Fürsten viele solcher Minister angeklagt und verurteilt; aber immer mit Unrecht. Enguerrand de Marigny verteidigte sich in einem solchen Falle mit den rührenden Worten: »Wir als Minister sind nur wie Hände und Füße, wir müssen dem Haupte, dem Könige, gehorchen; dieses ist jetzt tot, und seine Gedanken liegen mit ihm im Grabe; wir können und wir dürfen nicht sprechen.«
Nach diesen wenigen Andeutungen über den Unterschied der beiden Gewalten, der absoluten und der konstitutionellen, wird es jedem einleuchtend sein, daß der Streit über die Präsidentur, wie er in den hiesigen Verhältnissen zum Vorscheine kam, minder die Frage betreffen sollte, ob der König das Konseil präsidieren darf, als vielmehr, inwiefern er es präsidieren darf. Es kommt nicht darauf an, daß ihm die Charte die Präsidentur nicht verbietet oder ein Paragraph derselben ihm solche sogar zu erlauben scheint; sondern es kommt darauf an, ob er nur honoris causa, zu seiner eigenen Belehrung, ganz passiv, ohne aktive Teilnahme präsidiert oder ob er als Präsident seinen Selbstwillen geltend macht in der Leitung und Ausführung der Staatsgeschäfte. Im ersten Falle mag es ihm immerhin erlaubt sein, sich täglich einige Stunden lang in der Gesellschaft von Herrn Barthe, Louis, Sebastiani usw. zu ennuyieren, im andern Falle muß ihm jedoch dieses Vergnügen streng verboten bleiben. In diesem letztern Falle würde er, durch seinen Selbstwillen regierend, sich dem absoluten Königtume nähern, wenigstens würde er selbst als ein verantwortlicher Minister betrachtet werden können. Ganz richtig behaupteten einige Journale, daß es unrecht wäre, wenn ein Mann, der auf dem Todbette läge, wie Périer, oder der nicht einmal seine Gesichtsmuskeln regieren könne, wie Sebastiani für die selbstwilligen Regierungsakte des Königs verantwortlich sein müsse. Das ist jedenfalls eine schlimme Streitfrage, die eine hinlänglich grelle Bedeutung hat; denn mancher erinnert sich dabei an das terroristische Wort: La responsabilité c’est la mort. Mit einer Inoffiziosität, die ich nicht billigen darf, wird bei dieser Gelegenheit, namentlich von dem »National«, die Verantwortlichkeit des Königs behauptet und infolgedessen seine Inviolabilität geleugnet. Dieses ist immer für Ludwig Philipp eine mißbehagliche Mahnung und dürfte wohl einiges Nachsinnen in seinem Haupte hervorbringen. Seine Freunde meinten, es wäre wünschenswert, daß er gar nichts tue, wobei nur im mindesten das
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