Sämtliche Werke
so hätte er doch vielleicht, wo es not tat, mit Anstrengung aller seiner Spannkraft, das Werk vollbracht. Wenigstens können jetzt seine Freunde prahlen, er hätte, intervenierte nicht die Cholera, alle seine Vorsätze durchgeführt. Was wird aber aus Frankreich werden? Nun ja, Frankreich ist jene harrende Penelope, die täglich webt und täglich ihr Gewebe wieder zerstört, um nur Zeit zu gewinnen bis zur Ankunft des rechten Mannes. Wer ist dieser rechte Mann? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, er wird den großen Bogen spannen können, er wird den frechen Freiern den Schmaus verleiden, er wird sie mit tödlichen Bolzen bewirten, er wird die doktrinären Mägde, die mit ihnen allen gebuhlt haben, aufhängen, er wird das Haus säubern von der großen Unordnung und mit Hülfe der weisen Göttin eine bessere Wirtschaft einführen. Wie unser jetziger Zustand, wo die Schwäche regiert, ganz der Zeit des Direktoriums ähnelt, so werden wir auch unseren achtzehnten Brumaire erleben, und der rechte Mann wird plötzlich unter die erblassenden Machthaber treten und ihnen die Endschaft ihrer Regierung ankündigen. Man wird alsdann über Verletzung der Konstitution schreien, wie einst im Rate der Alten, als ebenfalls der rechte Mann kam, welcher das Haus säuberte. Aber wie dieser entrüstet ausrief: »Konstitution! Ihr wagt es noch euch auf die Konstitution zu berufen, ihr, die ihr sie verletzt habt am 18. Fructidor, verletzt am 22. Floréal, verletzt am 30. Prairial!«, so wird der rechte Mann auch jetzt Tag und Datum anzugeben wissen, wo die Justemilieu-Ministerien die Konstitution verletzt haben.
Wie wenig die Konstitution nicht bloß in die Gesinnung der Regierung, sondern auch des Volks eingedrungen, ergibt sich hier jedesmal, wenn die wichtigsten konstitutionellen Fragen zur Sprache kommen. Beide, Volk und Regierung, wollen die Konstitution nach ihren Privatgefühlen auslegen und ausbeuten. Das Volk wird hierzu mißleitet durch seine Schreiber und Sprecher, die entweder aus Unwissenheit oder Parteisucht die Begriffe zu verkehren suchen; die Regierung wird dazu mißleitet durch jene Fraktion der Aristokratie, die, aus Eigennutz ihr zugetan, den jetzigen Hof bildet und noch immer, wie unter der Restauration, das Repräsentativsystem als einen modernen Aberglauben betrachtet, woran das Volk nun einmal hänge, den man ihm auch nicht mit Gewalt rauben dürfe, den man jedoch unschädlich mache, wenn man den neuen Namen und Formen, ohne daß die Menge es merke, die alten Menschen und Wünsche unterschiebt. Nach den Begriffen solcher Leute ist derjenige der größte Minister, der mit den neuen konstitutionellen Formeln ebensoviel auszurichten vermag, wie man sonst mit den alten Formeln des alten Regimes durchzusetzen wußte. Ein solcher Minister war Villèle, an den man jedoch jetzt, als nämlich Périer erkrankte, nicht zu denken gewagt. Indessen man hatte Mut genug, an Decazes zu denken. Er wäre auch Minister geworden, wenn der neue Hof nicht gefürchtet hätte, daß er alsdann durch die Glieder des alten Hofes bald verdrängt würde. Man fürchtete, er möchte die ganze Restauration mit sich ins Ministerium bringen. Nächst Decazes hatte man Herrn Guizot besonders im Auge. Auch diesem wird viel zugetraut, wo es gilt, unter konstitutionellen Namen und Formen die absolutesten Gelüste zu verbergen. Denn dieser Quasivater der neuern Doktrinäre, dieser Verfasser einer englischen Geschichte und einer französischen Synonymik versteht aufs meisterhafteste, durch parlamentarische Beispiele aus England, die illegalsten Dinge mit einem ordre légal zu bekleiden und durch das plump gelehrte Wort den hochfliegenden Geist der Franzosen zu unterdrücken. Aber man sagt, während er mit dem Könige, welcher ihm ein Portefeuille antrug, etwas feurig sprach, habe er plötzlich die ignobelsten Wirkungen der Cholera verspürt, und schnell in der Rede abbrechend, sei er geschieden mit der Äußerung, er könne dem Drange der Zeit nicht widerstehen. Guizots Durchfall bei der Wahl eines neuen Ministers wird von andern noch komischer erzählt. Mit Dupin, den man immer als Pérsers Nachfolger betrachtet hatte und dem man viel Kraft und Mut zutraut, begannen jetzt die Unterhandlungen. Aber diese scheiterten ebenfalls, indem Dupin sich manche Beschränkungen nicht gefallen lassen wollte, die zunächst die Präsidentur des Konseils betrafen. Mit der erwähnten Präsidentur des Konseils hat es eine eigene Bewandtnis. Der König hat nämlich sich
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