Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
Vom Netzwerk:
eines Morgens erhielten die Grenadiere bestimmten Befehl, den Ausgang der päpstlichen Gemächer strenger als vorher zu bewachen und dem Papst den Durchgang im großen Saale zu versagen. Unglücklicherweise traf just Ricou das Los, diesen Befehl auszuführen, ihn, welcher Bretagner von Geburt, also erzkatholisch war und in dem gefangenen Papste den Statthalter Christi verehrte. Der arme Ricou stand Schildwache vor den Gemächern des Papstes, als dieser, wie gewöhnlich, um in der Schloßkapelle Messe zu lesen, durch den großen Saal wandern wollte. Aber Ricou trat vor ihn hin und erklärte, daß er die Consigne erhalten, den Heiligen Vater nicht durchzulassen. Vergebens suchten einige Priester, die sich im Gefolge des Papstes befanden, ihm ins Gemüt zu reden und ihm zu bedeuten, welch einen Frevel, welche Sünde, welche Verdammnis er auf sich lade, wenn er Seine Heiligkeit, das Oberhaupt der Kirche, verhindere, Messe zu lesen… Aber Ricou blieb unerschütterlich, er berief sich immer auf die Unmöglichkeit, seine Consigne zu brechen, und als der Papst dennoch weiterschreiten wollte, rief er entschlossen: »Au nom de l’Empereur!« und trieb ihn mit vorgehaltenem Bajonette zurück. Nach einigen Tagen wurde der strenge Befehl wieder aufgehoben, und der Papst durfte, wie früherhin, um Messe zu lesen, den großen Saal durchwandern. Allen Anwesenden gab er dann wieder den Segen, nur nicht dem armen Ricou, den er seitdem immer mit strengem Strafblicke ansah und dem er den Rücken kehrte, während er gegen die übrigen die segnende Hand ausstreckte. »Und doch konnte ich nicht anders handeln« – setzte der alte Invalide hinzu, als er mir diese entsetzliche Geschichte erzählte –, »ich konnte nicht anders handeln, ich hatte meine Consigne, ich mußte dem Kaiser gehorchen; und auf seinen Befehl – Gott verzeih mir’s! – hätte ich dem lieben Gott selber das Bajonett durch den Leib gerannt.«
    Ich habe dem armen Schelm versichert, daß der Kaiser für alle Sünden der Großen Armee verantwortlich sei, was ihm aber wenig schaden könne, da kein Teufel in der Hölle sich unterstehen würde, den Napoleon anzutasten. Der Alte gab mir gern Beifall und erzählte, wie gewöhnlich, mit geschwätziger Begeisterung, von der Herrlichkeit des Kaiserreichs, der imperialen Zeit, wo alles so goldströmend und blühend, statt daß heutzutage die ganze Welt so welk und abgefärbt aussieht.
    War wirklich die Zeit des Kaiserreichs in Frankreich so schön und beglückend, wie diese Bonapartisten, klein und groß, vom Invaliden Ricou bis zur Herzogin von Abrantes, uns vorzuprahlen pflegen? Ich glaube nicht. Die Äcker lagen brach, und die Menschen wurden zur Schlachtbank geführt. Überall Muttertränen und häusliche Verödung. Aber es geht diesen Bonapartisten wie dem versoffenen Bettler, der die scharfsinnige Bemerkung gemacht hatte, daß, solange er nüchtern blieb, seine Wohnung nur eine erbärmliche Hütte, sein Weib in Lumpen gehüllt und sein Kind krank und hungrig war, daß aber, sobald er einige Gläser Branntwein getrunken, dieses ganze Elend sich plötzlich änderte, seine Hütte sich in einen Palast verwandelte, sein Weib wie eine geputzte Prinzessin aussah und sein Kind wie die wohlgenährteste Gesundheit ihn anlachte. Wenn man ihn nun ob seiner schlechten Wirtschaft manchmal ausschalt, so versicherte er immer, man möge ihm nur genug Branntwein zu trinken geben, und sein ganzer Haushalt würde bald ein glänzenderes Ansehen gewinnen. Statt Branntwein war es Ruhm, Ehrgier und Eroberungslust, was jene Bonapartisten so sehr berauschte, daß sie die wirkliche Gestalt der Dinge während der Kaiserzeit nicht sahen; und jetzt, bei jeder Gelegenheit, wo eine Klage über schlechte Zeiten laut wird, rufen sie immer: »Das würde sich gleich ändern, Frankreich würde blühen und glänzen, wenn man uns wieder wie sonst zu trinken gäbe: Ehrenkreuze, Epaulette, contributions volontaires, spanische Gemälde, Herzogtümer in vollen Zügen.«
    Wie dem aber auch sei, nicht bloß die alten Bonapartisten, sondern auch die große Masse des Volks wiegt sich gern in diesen Illusionen, und die Tage des Kaiserreichs sind die Poesie dieser Leute, eine Poesie, die noch dazu Opposition bildet gegen die Geistesnüchternheit des siegenden Bürgerstandes. Der Heroismus der imperialen Herrschaft ist der einzige, wofür die Franzosen noch empfänglich sind, und Napoleon ist der einzige Heros, an den sie noch glauben.
    Wenn Sie dieses erwägen, teurer

Weitere Kostenlose Bücher