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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Avant-scène, in deren Ecke man sich am besten den Augen des Publikums verbergen kann. Diese Avant-scènen sind auch außerdem meine Lieblingsplätze. Man sieht hier nicht bloß, was auf dem Theater gespielt wird, sondern auch, was hinter den Kulissen vorgeht, hinter jenen Kulissen, wo die Kunst aufhört und die liebe Natur wieder anfängt. Wenn auf der Bühne irgendeine pathetische Tragödie zu schauen ist und zu gleicher Zeit von dem liederlichen Komödiantentreiben hinter den Kulissen hie und da ein Stück zum Vorschein kömmt, so mahnt dergleichen an antike Wandbilder oder an die Fresken der Münchener Glyptothek und mancher italienischer Palazzos, wo in den Ausschnittecken der großen historischen Gemälde lauter possierliche Arabesken, lachende Götterspäße, Bacchanalien und Satyridyllen angebracht sind.
    Das Théâtre Français besuchte ich sehr wenig; dieses Haus hat für mich etwas Ödes, Unerfreuliches. Hier spuken noch die Gespenster der alten Tragödie, mit Dolch und Giftbecher in den bleichen Händen; hier stäubt noch der Puder der klassischen Perücken. Daß man auf diesem klassischen Boden manchmal der modernen Romantik ihre tollen Spiele erlaubt oder daß man den Anforderungen des älteren und des jüngeren Publikums, durch eine Mischung des Klassischen und Romantischen, entgegenkommt, daß man gleichsam ein tragisches Justemilieu gebildet hat, das ist am unerträglichsten. Diese französischen Tragödiendichter sind emanzipierte Sklaven, die immer noch ein Stück der alten klassischen Kette mit sich herumschleppen; ein feines Ohr hört bei jedem ihrer Tritte noch immer ein Gelklirre, wie zur Zeit der Herrschaft Agamemnons und Talmas.
    Ich bin weit davon entfernt, die ältere französische Tragödie unbedingt zu verwerfen. Ich ehre Corneille, und ich liebe Racine. Sie haben Meisterwerke geliefert, die auf ewigen Postamenten stehen bleiben im Tempel der Kunst. Aber für das Theater ist ihre Zeit vorüber, sie haben ihre Sendung erfüllt vor einem Publikum von Edelleuten, die sich gern für Erben des älteren Heroismus hielten oder wenigstens diesen Heroismus nicht kleinbürgerlich verwarfen. Auch noch unter dem Empire konnten die Helden von Corneille und Racine auf die größte Sympathie rechnen, damals, wo sie vor der Loge des großen Kaisers und vor einem Parterre von Königen spielten. Diese Zeiten sind vorbei, die alte Aristokratie ist tot, und Napoleon ist tot, und der Thron ist nichts als ein gewöhnlicher Holzstuhl, überzogen mit rotem Sammet, und heute herrscht die Bourgeoisie, die Helden des Paul de Kock und des Eugène Scribe.
    Ein Zwitterstil und eine Geschmacksanarchie, wie sie jetzt im Théâtre Français vorwalten, ist greulich. Die meisten Novatoren neigen sich gar zu einem Naturalismus, der für die höhere Tragödie ebenso verwerflich ist wie die hohle Nachahmung des klassischen Pathos. Sie kennen zur Genüge, lieber Lewald, das Natürlichkeitssystem, den Ifflandianismus, der einst in Deutschland grassierte und von Weimar aus, besonders durch den Einfluß von Schiller und Goethe, besiegt wurde. Ein solches Natürlichkeitssystem will sich auch hier ausbreiten, und seine Anhänger eifern gegen metrische Form und gemessenen Vortrag. Wenn erstere nur in dem Alexandriner und letzterer nur in dem Zittergegröle der älteren Periode bestehen soll, so hätten diese Leute recht, und die schlichte Prosa und der nüchternste Gesellschaftston wären ersprießlicher für die Bühne. Aber die wahre Tragödie muß alsdann untergehen. Diese fordert Rhythmus der Sprache und eine von dem Gesellschaftston verschiedene Deklamation. Ich möchte dergleichen fast für alle dramatische Erzeugnisse in Anspruch nehmen. Wenigstens sei die Bühne niemals eine banale Wiederholung des Lebens, und sie zeige dasselbe in einer gewissen vornehmen Veredlung, die sich, wenn auch nicht im Wortmaß und Vortrag, doch in dem Grundton, in der inneren Feierlichkeit eines Stückes, ausspricht. Denn das Theater ist eine andere Welt, die von der unsrigen geschieden ist, wie die Szene vom Parterre. Zwischen dem Theater und der Wirklichkeit liegt das Orchester, die Musik, und zieht sich der Feuerstreif der Rampe. Die Wirklichkeit, nachdem sie das Tonreich durchwandert und auch die bedeutungsvollen Rampenlichter überschritten, steht auf dem Theater als Poesie verklärt uns gegenüber. Wie ein verhallendes Echo klingt noch in ihr der holde Wohllaut der Musik, und sie ist märchenhaft angestrahlt von den geheimnisvollen Lampen.

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