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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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und aber tausend Fliegen hineingestürzt sind und die einen sich auf den Rücken der andern emporzuschwingen suchen, am Ende aber doch alle zugrunde gehen, mit Ausnahme einiger wenigen, die sich durch Zufall oder Klugheit bis an den Rand des Topfes zu rudern gewußt und dort, im Trockenen, aber mit nassen Flügeln, herumkriechen.
    Ich habe Ihnen über den sozialen Zustand der Franzosen, aus besonderen Gründen, nur wenige Andeutungen geben wollen; wie sich aber die Verwickelung lösen wird, das vermag kein Mensch zu erraten. Vielleicht naht Frankreich einer schrecklichen Katastrophe. Diejenigen, welche eine Revolution anfangen, sind gewöhnlich ihre Opfer, und solches Schicksal trifft vielleicht Völker ebensogut wie Individuen. Das französische Volk, welches die große Revolution Europas begonnen, geht vielleicht zugrunde, während nachfolgende Völker die Früchte seines Beginnens ernten.
    Aber hoffentlich irre ich mich. Das französische Volk ist die Katze, welche, sie falle auch von der gefährlichsten Höhe herab, dennoch nie den Hals bricht, sondern unten gleich wieder auf den Beinen steht.
    Eigentlich, liebster Lewald, weiß ich nicht, ob es naturhistorisch richtig ist, daß die Katzen immer auf die vier Pfoten fallen und sich daher nie beschädigen, wie ich als kleiner Junge einst gehört hatte. Ich wollte damals gleich das Experiment anstellen, stieg mit unserer Katze aufs Dach und warf sie von dieser Höhe in die Straße hinab. Zufällig aber ritt eben ein Kosak an unserem Hause vorbei, die arme Katze fiel just auf die Spitze seiner Lanze, und er ritt lustig mit dem gespießten Tiere von dannen. – Wenn es nun wirklich wahr ist, daß Katzen immer unbeschädigt auf die Beine fallen, so müssen sie sich doch in solchem Falle vor den Lanzen der Kosaken in acht nehmen…
Fünfter Brief
    Mein Nachbar, der alte Grenadier, sitzt heute nachsinnend vor seiner Haustür; manchmal beginnt er eins seiner alten bonapartistischen Lieder, doch die Stimme versagt ihm vor innerer Bewegung; seine Augen sind rot, und allem Anschein nach hat der alte Kauz geweint.
    Aber er war gestern abend bei Frankoni und hat dort die Schlacht bei Austerlitz gesehen. Um Mitternacht verließ er Paris, und die Erinnerungen beschäftigten seine Seele so übermächtig, daß er wie somnambul die ganze Nacht durchmarschierte und zu seiner eigenen Verwunderung diesen Morgen im Dorfe anlangte. Er hat mir die Fehler des Stücks auseinandergesetzt, denn er war selber bei Austerlitz, wo das Wetter so kalt gewesen, daß ihm die Flinte an den Fingern festfror; bei Frankoni hingegen konnte man es vor Hitze nicht aushalten. Mit dem Pulverdampf war er sehr zufrieden, auch mit dem Geruche der Pferde; nur behauptete er, daß die Kavallerie bei Austerlitz keine so gut dressierte Schimmel besessen. Ob das Manöver der Infanterie ganz richtig dargestellt worden, wußte er nicht genau zu beurteilen; denn bei Austerlitz, wie bei jeder Schlacht, sei der Pulverdampf so stark gewesen, daß man kaum sah, was ganz in der Nähe vorging. Der Pulverdampf bei Frankoni war aber, wie der Alte sagte, ganz vortrefflich und schlug ihm so angenehm auf die Brust, daß er dadurch von seinem Husten geheilt ward. »Und der Kaiser?« fragte ich ihn. »Der Kaiser«, antwortete der Alte, »war ganz unverändert, wie er leibte und lebte, in seiner grauen Kapote mit dem dreieckigen Hütchen, und das Herz pochte mir in der Brust. Ach, der Kaiser«, setzte der Alte hinzu, »Gott weiß, wie ich ihn liebe, ich bin oft genug in diesem Leben für ihn ins Feuer gegangen, und sogar nach dem Tode muß ich für ihn ins Feuer gehen!«
    Den letzten Zusatz sprach Ricou, so heißt der Alte, mit einem geheimnisvoll düsteren Tone, und schon mehrmals hatte ich von ihm die Äußerung vernommen, daß er einst für den Kaiser in die Hölle käme. Als ich heute ernsthaft in ihn drang, mir diese rätselhaften Worte zu erklären, erzählte er mir folgende entsetzliche Geschichte:
    Als Napoleon den Papst Pius VII. von Rom wegführen und nach dem hohen Bergschlosse von Savona bringen ließ, gehörte Ricou zu einer Kompanie Grenadiere, die ihn dort bewachten. Anfangs gewährte man dem Papste manche Freiheiten; ungehindert konnte er zu beliebigen Stunden seine Gemächer verlassen und sich nach der Schloßkapelle begeben, wo er täglich selber Messe las. Wenn er dann durch den großen Saal schritt, wo die kaiserlichen Grenadiere Wache hielten, streckte er die Hand nach ihnen aus und gab ihnen den Segen. Aber

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