Sämtliche Werke
ich will ihr erst den Brief vorlesen, und findet er Beifall, so schicken wir ihn gleich ab.« Hierauf habe er das Zimmer verlassen, und nach einer Weile mit dem Briefe zurückkehrend, habe er denselben schnell versiegelt und unverzüglich an Karl X. abgeschickt. Aber nur das Adreßkuvert sei dasselbe gewesen, dem plump Dupinschen Briefe jedoch habe der fingerfertige Künstler ein ganz demütiges Schreiben substituiert, worin er, seine Untertanentreue beteuernd, die Ernennung als Lieutenant-General annahm und den König beschwor, zugunsten seines Enkels zu abdizieren. Die nächste Frage ist nun: Wie ward dieser Betrug entdeckt? Hierauf hat Herr Louis Blanc einem Bekannten von mir mündlich die Antwort erteilt: Herr Berryer, als er nach Prag zu Karl X. reiste, habe demselben ehrfurchtsvoll vorgestellt, daß Seine Majestät sich einst mit der Abdikation etwas zu sehr übereilt, worauf ihm Se. Majestät, um sich zu justifizieren, den Brief zeigte, den ihm zu jener Zeit der Herzog von Orleans geschrieben; den Rat desselben habe er um so eifriger befolgt, da er in ihm den Lieutenant-General des Königreichs anerkannt hatte. Es ist also Herr Berryer, welcher jenen Brief gesehen hat und auf dessen Autorität die ganze Anekdote beruht. Für die Legitimisten ist diese Autorität gewiß hinreichend, und sie ist es auch für die Republikaner, die alles glauben, was der legitime Haß gegen Ludwig Philipp erfindet. Wir sahen dieses noch jüngst, als eine verrufene Vettel die bekannten falschen Briefe schmiedete, bei welcher Gelegenheit Herr Berryer sich bereits als Advokat der Fälschung in vollem Glanze zeigte. Wir, die wir weder Legitimist noch Republikaner sind, wir glauben nur an das Talent des Herrn Berryer, an sein wohltönendes Organ, an seinen Sinn für Spiel und Musik, und ganz besonders glauben wir an die ungeheuren Summen, womit die legitimistische Partei ihren großen Sachwalter honoriert.
Was Ludwig Philipp betrifft, so haben wir in diesen Blättern oft genug unsre Meinung über ihn ausgesprochen. Er ist ein großer König, obgleich ähnlicher dem Odysseus als dem Ajax, dem wütenden Autokraten, der im Zwist mit dem erfindungsreichen Dulder gar kläglich unterliegen mußte. Er hat aber die Krone Frankreichs nicht wie ein Schelm eskamotiert, sondern die bitterste Notwendigkeit, ich möchte sagen, die Ungnade Gottes drückte ihm die Krone aufs Haupt, in einer verhängnisvollen Schreckensstunde. Freilich, er hat bei dieser Gelegenheit ein bißchen Komödie gespielt, er meinte es nicht ganz ehrlich mit seinen Kommittenten, mit den Juliushelden, die ihn aufs Schild erhoben – aber meinten es diese so ganz ehrlich mit ihm, dem Orleans? Sie hielten ihn für einen bloßen Hampelmann, sie setzten ihn lustig auf den roten Sessel, im festen Glauben, ihn mit leichter Mühe wieder herabwerfen zu können, wenn er sich nicht gelenkig genug an den Drähten regieren ließe oder wenn es ihnen gar einfiele, die Republik, das alte Stück, wieder aufzuführen. Aber diesmal, wie ich bereits mal gesagt habe, war es das Königtum selbst, welches die Rolle des Junius Brutus spielte, um die Republikaner zu täuschen, und Ludwig Philipp war klug genug, die Maske der schafmütigsten Einfalt vorzunehmen, mit dem großen sentimentalen Parapluie unterm Arm wie Staberle durch die Gassen von Paris zu schlendern, Bürger Krethi und Bürger Plethi die ungewaschenen Hände zu schütteln und zu lächeln und sehr gerührt zu sein. Er spielte wirklich damals eine kuriose Rolle, und als ich kurz nach der Juliusrevolution hierherkam, hatte ich noch oft Gelegenheit, darüber zu lachen. Ich erinnere mich noch sehr gut, daß ich bei meiner Ankunft gleich nach dem Palais Royal eilte, um Ludwig Philipp zu sehen. Der Freund, der mich führte, erzählte mir, daß der König jetzt nur zu bestimmten Stunden auf der Terrasse erscheine; früher aber, noch vor wenigen Wochen, habe man ihn zu jeder Zeit sehen können, und zwar für fünf Francs. »Für fünf Francs!« – rief ich mit Verwunderung – »zeigt er sich denn für Geld?« – »Nein, aber er wird für Geld gezeigt, und es hat damit folgende Bewandtnis: Es gibt eine Sozietät von Claqueurs, marchands de contremarques und sonstigem Lumpengesindel, die jedem Fremden anbieten, ihm für fünf Francs den König zu zeigen; gäbe man ihnen zehn Francs, so werde man ihn sehen, wie er die Augen gen Himmel richtet und die Hand beteuernd aufs Herz legt; gäbe man aber zwanzig Francs, so solle er auch die Marseillaise
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