Sämtliche Werke
die, eine Folge überstandener Krankheit, die Aufmerksamkeit der schönen Welt in Anspruch genommen. Der berühmte Döhler ist seitdem nach Paris zurückgekehrt und hat mehre Konzerte gegeben; er spielt in der Tat hübsch, nett und niedlich. Sein Vortrag ist allerliebst, beurkundet eine erstaunliche Fingerfertigkeit, zeugt aber weder von Kraft noch von Geist. Zierliche Schwäche, elegante Ohnmacht, interessante Blässe.
Zu den diesjährigen Konzerten, die im Andenken der Kunstliebhaber forttönen, gehören die Matineen, welche von den Herausgebern der beiden musikalischen Zeitungen ihren Abonnenten geboten wurden. Die »France musicale«, redigiert von den Brüdern Escudier, glänzte in ihrem Konzert durch die Mitwirkung der italienischen Sänger und des Violinspielers Vieuxtemps, der als einer der Löwen der musikalischen Saison betrachtet wurde. Ob sich unter dem zottigen Fell dieses Löwen ein wirklicher König der Bestien oder nur ein armes Grauchen verbirgt, vermag ich nicht zu entscheiden. Ehrlich gesagt, ich kann den übertriebenen Lobsprüchen, die ihm gezollt wurden, keinen Glauben schenken. Es will mich bedünken, als ob er auf der Leiter der Kunst noch nicht eine sonderliche Höhe erklommen. Vieuxtemps steht etwa auf der Mitte jener Leiter, auf deren Spitze wir einst Paganini erblickten und auf deren letzter, unterster Sprosse unser vortrefflicher Sina steht, der berühmte Badegast von Boulogne und Eigentümer eines Autographs von Beethoven. Vielleicht steht Herr Vieuxtemps dem Herrn Sina noch viel näher als dem Niccolò Paganini.
Vieuxtemps ist ein Sohn Belgiens, wie denn überhaupt aus den Niederlanden die bedeutendsten Violinisten hervorgingen. Die Geige ist ja das dortige Nationalinstrument, das von groß und klein, von Mann und Weib kultiviert wird, von jeher, wie wir auf den holländischen Bildern sehen. Der ausgezeichnetste Violinist dieser Landsmannschaft ist unstreitig Bériot, der Gemahl der Malibran; ich kann mich manchmal der Vorstellung nicht erwehren, als säße in seiner Geige die Seele der verstorbenen Gattin und sänge. Nur Ernst, der poesiereiche Böhme, weiß seinem Instrument so schmelzende, so verblutend süße Klagetöne zu entlocken. – Ein Landsmann Bériots ist Artôt, ebenfalls ein ausgezeichneter Violinist, bei dessen Spiel man aber nie an eine Seele erinnert wird: ein geschniegelter, wohlgedrechselter Gesell, dessen Vortrag glatt und glänzend, wie Wachsleinen. Hauman, der Sohn des Brüsseler Nachdruckers, treibt auf der Violine das Metier des Vaters: was er geigt, sind reinliche Nachdrücke der vorzüglichsten Geiger, die Texte hie und da verbrämt mit überflüssigen Originalnoten und vermehrt mit brillanten Druckfehlern. – Die Gebrüder Franco-Mendès, welche auch dieses Jahr Konzerte gaben, wo sie ihr Talent als Violinspieler bewährten, stammen ganz eigentlich aus dem Lande der Trekschuiten und Quispeldorchen. Dasselbe gilt von Batta, dem Violoncellisten; er ist ein geborner Holländer, kam aber früh hieher nach Paris, wo er durch seine knabenhafte Jugendlichkeit ganz besonders die Damen ergötzte. Er war ein liebes Kind und weinte auf seiner Bratsche wie ein Kind. Obgleich er mittlerweile ein großer Junge geworden, so kann er doch die süße Gewohnheit des Greinens nimmermehr lassen, und als er jüngst wegen Unpäßlichkeit nicht öffentlich auftreten konnte, hieß es allgemein: durch das kindische Weinen auf dem Violoncello habe er sich endlich eine wirkliche Kinderkrankheit, ich glaube die Masern, an den Hals gespielt. Er scheint jedoch wieder ganz hergestellt zu sein, und die Zeitungen melden, daß der berühmte Batta nächsten Donnerstag eine musikalische Matinee bereite, welche das Publikum für die lange Entbehrnis seines Lieblings entschädigen werde.
Das letzte Konzert, welches Herr Maurice Schlesinger den Abonnenten seiner »Gazette musicale« gab und das, wie ich bereits angedeutet habe, zu den glänzendsten Erscheinungen der Saison gehörte, war für uns Deutsche von ganz besonderm Interesse. Auch war hier die ganze Landsmannschaft vereinigt, begierig, die Mademoiselle Löwe zu hören, die gefeierte Sängerin, die das schöne Lied von Beethoven, »Adelaide«, in deutscher Zunge sang. Die Italiener und Herr Vieuxtemps, welche ihre Mitwirkung versprochen, ließen während des Konzerts absagen, zur größten Bestürzung des Konzertgebers, welcher mit der ihm eigentümlichen Würde vors Publikum trat und erklärte: Herr Vieuxtemps wolle nicht spielen, weil
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