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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Reiche die einzelnen Völker sich bald ihre besondern Regenten selbst erwählen und sich so gut als möglich fortregieren lassen würden. Aber im allergrößten Teil Europas herrscht noch das Dogma des Absolutismus, wonach Land und Leute das Eigentum des Fürsten sind und dieses Eigentum durch das Recht des Stärkern, durch die ultima ratio regis, das Kanonenrecht, erwerbbar ist. – Was Wunder, daß keiner der hohen Potentaten den Russen die große Erbschaft gönnen wird und jeder ein Stück von dem morgenländischen Kuchen haben will; jeder wird Appetit bekommen, wenn er sieht, wie die Barbaren des Nordens sich gütlich tun, und der kleinste deutsche Duodezfürst wird wenigstens auf ein Biergeld Anspruch machen. Das sind die menschlichen Antriebe, weshalb der Untergang der Türkei für die Welt verderblich werden muß. Die politischen Beweggründe, warum hauptsächlich England, Frankreich und Österreich nicht erlauben können, daß Rußland sich in Konstantinopel festsetze, sind jedem Schulknaben einleuchtend.
    Der Ausbruch eines Krieges, der in der Natur der Dinge liegt, ist aber vorderhand vertagt. Kurzsichtige Politiker, die nur zu Palliativen ihre Zuflucht nehmen, sind beruhigt und hoffen ungetrübte Friedenstage. Besonders unsre Finanziers sehen wieder alles im lieblichsten Hoffnungslichte. Auch der größte derselben scheint sich solcher Täuschung hinzugeben, aber nicht zu jeder Stunde. Herr von Rothschild, welcher seit einiger Zeit etwas unpäßlich schien, ist jetzt wieder ganz hergestellt und sieht gesund und wohl aus. Die Zeichendeuter der Börse, welche sich auf die Physiognomie des großen Barons so gut verstehen, versichern uns, daß die Schwalben des Friedens in seinem Lächeln nisten, daß jede Kriegsbesorgnis aus seinem Gesichte verschwunden, daß in seinen Augen keine elektrischen Gewitterfünkchen sichtbar seien und daß also das entsetzliche Kanonendonnerwetter, das die ganze Welt bedrohte, sich gänzlich verzogen habe. Er niese sogar den Frieden. Es ist wahr, als ich das letztemal die Ehre hatte, Herrn von Rothschild meine Aufwartung zu machen, strahlte er vom erfreulichsten Wohlbehagen, und seine rosige Laune ging fast über in Poesie; denn, wie ich schon einmal erzählt, in solchen heitern Momenten pflegt der Herr Baron den Redefluß seines Humors in Reimen ausströmen zu lassen. Ich fand, daß ihm das Reimen diesmal ganz besonders gelang; nur auf »Konstantinopel« wußte er keinen Reim zu finden, und er kratzte sich an dem Kopf, wie alle Dichter tun, wenn ihnen der Reim fehlt. Da ich selbst auch ein Stück Poet bin, so erlaubte ich mir, dem Herrn Baron zu bemerken, ob sich nicht auf »Konstantinopel« ein russischer »Zobel« reimen ließe. Aber dieser Reim schien ihm sehr zu mißfallen, er behauptete, England würde ihn nie zugeben, und es könnte dadurch ein europäischer Krieg entstehen, welcher der Welt viel Blut und Tränen und ihm selber eine Menge Geld kosten würde.
    Herr von Rothschild ist in der Tat der beste politische Thermometer; ich will nicht sagen Wetterfrosch, weil das Wort nicht hinlänglich respektvoll klänge. Und man muß doch Respekt vor diesem Manne haben, sei es auch nur wegen des Respektes, den er den meisten Leuten einflößt. Ich besuche ihn am liebsten in den Bureaux seines Comptoirs, wo ich als Philosoph beobachten kann, wie sich das Volk, und nicht bloß das Volk Gottes, sondern auch alle andern Völker, vor ihm beugen und bücken. Das ist ein Krümmen und Winden des Rückgrats, wie es selbst dem besten Akrobaten schwerfiele. Ich sah Leute, die, wenn sie dem großen Baron nahten, zusammenzuckten, als berührten sie eine voltaische Säule. Schon vor der Tür seines Kabinetts ergreift viele ein Schauer der Ehrfurcht, wie ihn einst Moses auf dem Horeb empfunden, als er merkte, daß er auf dem heiligen Boden stand. Ganz so, wie Moses alsbald seine Schuhe auszog, so würde gewiß mancher Mäkler oder Agent de change, der das Privatkabinett des Herrn von Rothschild zu betreten wagt, vorher seine Stiefel ausziehen, wenn er nicht fürchtete, daß alsdann seine Füße noch übler riechen und den Herrn Baron dieser Mistduft inkommodieren dürfte. Jenes Privatkabinett ist in der Tat ein merkwürdiger Ort, welcher erhabene Gedanken und Gefühle erregt, wie der Anblick des Weltmeeres oder des gestirnten Himmels: wir sehen hier, wie klein der Mensch und wie groß Gott ist! Denn das Geld ist der Gott unserer Zeit, und Rothschild ist sein Prophet.
    Vor mehreren Jahren, als

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