Sämtliche Werke
ich mich einmal zu Herrn von Rothschild begeben wollte, trug eben ein galonierter Bedienter das Nachtgeschirr desselben über den Korridor, und ein Börsenspekulant, der in demselben Augenblick vorbeiging, zog ehrfurchtsvoll seinen Hut ab vor dem mächtigen Topfe. So weit geht, mit Respekt zu sagen, der Respekt gewisser Leute. Ich merkte mir den Namen jenes devoten Mannes, und ich bin überzeugt, daß er mit der Zeit ein Millionär sein wird. Als ich einst dem Herrn * erzählte, daß ich mit dem Baron Rothschild in den Gemächern seines Comptoirs en famille zu Mittag gespeist, schlug jener mit Erstaunen die Hände zusammen und sagte mir, ich hätte hier eine Ehre genossen, die bisher nur den Rothschilds von Geblüt oder allenfalls einigen regierenden Fürsten zuteil geworden und die er selbst mit der Hälfte seiner Nase einkaufen würde. Ich will hier bemerken, daß die Nase des Herrn *, selbst wenn er die Hälfte einbüßte, dennoch eine hinlängliche Länge behalten würde.
Das Comptoir des Herrn von Rothschild ist sehr weitläufig, ein Labyrinth von Sälen, eine Kaserne des Reichtums; das Zimmer, wo der Baron von Morgen bis Abend arbeitet – er hat ja nichts andres zu tun als zu arbeiten –, ist jüngst sehr verschönert worden. Auf dem Kamin steht jetzt die Marmorbüste des Kaisers Franz von Österreich, mit welchem das Haus Rothschild die meisten Geschäfte gemacht hat. Der Herr Baron will überhaupt aus Pietät die Büsten von allen europäischen Fürsten anfertigen lassen, die durch sein Haus ihre Anleihen gemacht, und diese Sammlung von Marmorbüsten wird eine Walhalla bilden, die weit großartiger sein dürfte als die Regensburger. Ob Herr Rothschild seine Walhallagenossen in Reimen oder im ungereimten königlich bayrischen Lapidarstil feiern wird, ist mir unbekannt.
XXXIII
Paris, 20. April 1841
Der diesjährige Salon offenbarte nur eine buntgefärbte Ohnmacht. Fast sollte man meinen, mit dem Wiederaufblühen der bildenden Künste habe es bei uns ein Ende; es war kein neuer Frühling, sondern ein leidiger Alteweibersommer. Einen freudigen Aufschwung nahm die Malerei und die Skulptur, sogar die Architektur, bald nach der Juliusrevolution; aber die Schwingen waren nur äußerlich angeheftet, und auf den forcierten Flug folgte der kläglichste Sturz. Nur die junge Schwesterkunst, die Musik, hatte sich mit ursprünglicher, eigentümlicher Kraft erhoben. Hat sie schon ihren Lichtgipfel erreicht? Wird sie sich lange darauf behaupten? Oder wird sie schnell wieder herabsinken? Das sind Fragen, die nur ein späteres Geschlecht beantworten kann. Jedenfalls hat es aber den Anschein, als ob in den Annalen der Kunst unsre heutige Gegenwart vorzugsweise als das Zeitalter der Musik eingezeichnet werden dürfte. Mit der allmählichen Vergeistigung des Menschengeschlechts halten auch die Künste ebenmäßig Schritt. In der frühesten Periode mußte notwendigerweise die Architektur alleinig hervortreten, die unbewußte rohe Größe massenhaft verherrlichend, wie wir’s z.B. sehen bei den Ägyptiern. Späterhin erblicken wir bei den Griechen die Blütezeit der Bildhauerkunst, und diese bekundet schon eine äußere Bewältigung der Materie: der Geist meißelte eine ahnende Sinnigkeit in den Stein. Aber der Geist fand dennoch den Stein viel zu hart für seine steigenden Offenbarungsbedürfnisse, und er wählte die Farbe, den bunten Schatten, um eine verklärte und dämmernde Welt des Liebens und Leidens darzustellen. Da entstand die große Periode der Malerei, die am Ende des Mittelalters sich glänzend entfaltete. Mit der Ausbildung des Bewußtseinlebens schwindet bei den Menschen alle plastische Begabnis, am Ende erlischt sogar der Farbensinn, der doch immer an bestimmte Zeichnung gebunden ist, und die gesteigerte Spiritualität, das abstrakte Gedankentum, greift nach Klängen und Tönen, um eine lallende Überschwenglichkeit auszudrücken, die vielleicht nichts anderes ist als die Auflösung der ganzen materiellen Welt: die Musik ist vielleicht das letzte Wort der Kunst, wie der Tod das letzte Wort des Lebens.
Ich habe diese kurze Bemerkung hier vorangestellt, um anzudeuten, weshalb die musikalische Saison mich mehr ängstigt als erfreut. Daß man hier fast in lauter Musik ersäuft, daß es in Paris fast kein einziges Haus gibt, wohin man sich wie in eine Arche retten kann vor dieser klingenden Sündflut, daß die edle Tonkunst unser ganzes Leben überschwemmt – dies ist für mich ein bedenkliches Zeichen, und es
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