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Saemtliche Werke von Heinrich von Kleist (Illustrierte) (German Edition)

Saemtliche Werke von Heinrich von Kleist (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Saemtliche Werke von Heinrich von Kleist (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich von Kleist
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ungläubigen Herrn Neffen. Joseph schreit fürchterlich, alle seine Geschwister werden wach und schreien mit, die Eltern eilen voll Angst herbei, sie besorgen Feuer oder Mord, beruhigen sich aber bald, da sie sehen, daß nur der dumme Joseph etwas geprügelt wird. Sie fragen nach dem Anlasse des Tumults; Joseph erzählt schluchzend seine Geschichte; der Onkel flucht laut über den Lügner; den Eltern ist der Fall zu spitzig; zum Untersuchen ist nicht Zeit, und da Joseph von seinem Satz nicht abgeht, so vereinigen sie sich der Kürze halber mit dem Onkel, prügeln gemeinschaftlich auf den Ärmsten und schicken ihn zu Bette. In der folgenden Nacht geht derselbe Spaß von neuem an, Joseph wird wieder geweckt, sieht eine Gestalt, hält sie wieder für den Onkel und, da er diesmal seiner Sache noch gewisser zu sein glaubt, als das erstemal, so beklagt er sich noch ungestümer; der alte Onkel erwacht, prügelt, die Eltern kommen herbei, prügeln auch, und Joseph flüchtet sich, ein gutes Teil mürber als die vergangene Nacht, in sein Bett. In der dritten Nacht dieselbe Erscheinung, aber nicht dieselben Prügel. In dem Kopfe des dummen Josephs entwickelt sich allmählich die Idee vom ewigen Unrechte des Schwächern, er schweigt demnach, und versucht es, mit einem äußerst verdrießlichen Gesicht, sobald wie möglich wieder einzuschlafen, was ihm denn auch gelingt. Den Tag darauf kömmt Joseph abends vom Felde nach Hause, und erzählt der Mutter, wie um die Mittagsstunde ein fremder Herr zu ihm gekommen sei, in einem weißen Mantel und mit sehr bleichem Angesichte; wie dieser, als er sich anfangs vor ihm gefürchtet und davonlaufen wollte, ihm freundlich zugeredet habe, er solle sich nicht fürchten, er meine es gut mit ihm und wolle ihn belohnen, wenn er hübsch folgsam wäre. Als er sich hierauf beruhigt, habe der fremde Herr mit tiefbetrübter Miene gesagt, daß er schon sehr lange, lange auf ihn gewartet habe, daß er ihm die drei vergangenen Nächte erschienen sei, und jetzt komme, um von ihm einen Dienst zu begehren, dessen Gewährleistung er nicht zu bereuen Ursach haben würde. Morgen nämlich mit Sonnenaufgang solle er, mit einem Spaten versehen, aufs Feld hinausgehn und an einem Orte, den er ihm zeigen würde, nachgraben; er werde dort Menschenknochen finden, an denen fünf eiserne Ringe befestigt wären; diese wären seine Gebeine, über die sein Geist nun schon seit fünfhundert Jahren ohne Ruhe und ohne Rast herumirre; habe er die Gebeine gefunden und herausgenommen, so solle er noch tiefer graben, wo er sodann auf fünf verschlossene irdene Truhen stoßen werde; was damit zu tun, würde er ihm später entdecken. Nachdem er ihm dies alles gesagt, sei der Herr plötzlich weggekommen, er wisse nicht wohin. Die Mutter hatte mit offenem Munde zugehört, und voller Verwunderung ihren Joseph betrachtet, welcher, da er sonst in dummer Unbehilflichkeit kaum ein halb Dutzend Worte aneinander zu reihen wußte, jetzt mit fließender Rede, im reinsten Böhmisch, seine Geschichte vortrug. So unheimlich ihr auch bei dieser Erzählung zumute sein mochte, so witterte sie doch als eine kluge Frau in den verheißenen Truhen so etwas von einem Schatze, und um des Schatzes willen beschloß sie, mit ihrem Joseph gemeinschaftlich das Abenteuer zu bestehn.
    Den andern Morgen in aller Frühe machten Mutter und Sohn gehörig zum Graben gerüstet sich auf und gingen dem Felde zu, wo der Geist sich hatte sehn lassen; kaum waren sie vor das Dorf gekommen, als Joseph sagte: »Ei seht doch Mutter, da ist der Herr schon.« – »Wo?« rief die Mutter erblassend und schlug ein Kreuz über ihren ganzen Leib. »Hier dicht vor uns,« antwortete Joseph, »er hat mir aber gesagt, er komme, uns zu führen.« Die Mutter sahe nichts; der Geist, nur dem auserwählten Joseph sichtbar, zog still vor ihnen her. Die Reise ging querfeldein, einer Heide zu, die an einem Feldwege hinlief; dort steht Joseph still und sagt zur Mutter: »Hier Mutter, hier sollen wir graben, spricht der Herr.« Die Mutter, den Angstschweiß auf der Stirn, setzt den Spaten an und gräbt hastig darauf los. Sie mochte ungefähr zwei Schuh tief gegraben haben, als sie auf Totengebeine stößt; der Herr sehe dem Dinge sehr freundlich zu, versichert Joseph der Mutter, die für die Freundlichkeit des fünfhundertjährigen Herrn wenig Sinn hat, und geistliche Lieder und Ave’s und Beschwörungsformeln bunt durcheinander sich immer lauter in Gedanken zuschreit. Der Gebeine wurden immer

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