Saemtliche Werke von Heinrich von Kleist (Illustrierte) (German Edition)
Haide-Kruge bewohnten Zimmer fand man nur zwei Bücher: den Don Quixote, wahrscheinlich Kleist’s und Klopstock’s Oden, wahrscheinlich Henriettens letztes Lesebuch, in welchem die wie für den Fall geschriebene „todte Clarissa“ besonders angemerkt war. Die letzten von K. geschriebenen Briefe sind biographisch höchst merkwürdig: neben den schwärmerischsten und zartesten Aeußerungen nehmen sie Bedacht auf das Ordnen von Kleinigkeiten, nach dem förmlichen Ausschütten eines zerrissenen Herzens athmen sie eine Versöhnung mit dem Schicksal, wie sie schöner nicht gedacht werden kann. Sein Abschiedsbrief an Ulrike ist ein wahres Denkmal dieses geklärten inneren Zustandes. „Ich kann nicht sterben, ohne mich, zufrieden und heiter wie ich bin, mit der ganzen Welt und somit auch vor allen Anderen, meine theuerste Ulrike, mit Dir versöhnt zu haben. Laß sie mich, die strenge Aeußerung, die in dem Briefe an die Kleisten (Marie) enthalten ist, laß sie mich zurücknehmen; wirklich Du hast an mir gethan, ich sage nicht was in Kräften einer Schwester, sondern in Kräften eines Menschen stand, um mich zu retten: die Wahrheit ist, daß mir auf Erden nicht zu helfen war. Und nun lebe wohl, möge Dir der Himmel einen Tod schenken, nur halb an Freude und unaussprechlicher Heiterkeit dem meinigen gleich: das ist der herzlichste und innigste Wunsch, den ich für Dich aufzubringen weiß. Stimmings bei Potsdam den – am Tage meines Todes. Dein Heinrich.“
Der tragische Fall erregte weit über die deutschen Grenzen hinaus großes Aufsehen und es fehlte, namentlich in Berlin, nicht an hämischen und die Wahrheit entstellenden Auslegungen. Diesen gegenüber versuchte Peguilhen, der treue, aber gegenüber den damaligen Verhältnissen in seinem Eifer vielleicht zu weit gehende Freund, in einem in der Vossischen Zeitung vom 26. November 1811 erschienenen Nachruf die öffentliche Meinung zu beschwichtigen, indem er einige Bruchstücke über die Katastrophe vorzulegen versprach und darum bat „nicht eher zwei Wesen lieblos zu verdammen, welche die Liebe und Reinheit selbst waren“. Hierauf erhielt er aber am 6. December einen Erlaß des Polizeipräsidenten, nach welchem der König das Erscheinen dieser Schrift verbietet. Scharf beleuchtet werden diese Verhältnisse unter Anderem dadurch, daß Peguilhen in einer Denkschrift an den Staatskanzler sagte: „ich wollte dieses Ereigniß für das Vaterland benutzen und wahrlich nicht Selbstmord predigen, sondern die schnöde Furcht vor dem Tode als eine Krankheit des Zeitalters bekämpfen.“
Die Zeit, in der K. lebte, hat an ihm nicht weniger gesündigt wie er an sich selbst: so eng hängt sein Schicksal mit dem damaligen seines Vaterlandes zusammen, daß man es nicht öffentlich besprechen konnte, ohne die tiefsten Wunden desselben zu berühren. Darum schlossen auch die dem Hofe und dem Heere so nahestehenden Verwandten sogar einem Tieck gegenüber den Mund und selbst nach dem glorreichen Frieden von 1815 vergingen noch sechs Jahre, bevor die beiden deutschen Nationaldramen „Die Hermannsschlacht“ und „Der Prinz von Homburg“ im Druck erschienen. Aber in einer wie gewöhnlich breiteren Spanne Zeit zeigte sich das Schicksal versöhnlicher als die Menschen, denn 60 Jahre nach dem Tode Kleist’s, konnte der Verfasser dieser Biographie, bei der Erhebung des Sohnes Friedrich Wilhelm III. zum deutschen Kaiser im Schlosse von Versailles die Potsdamer Garden, bei denen K. sein öffentliches Leben begonnen hatte, die Ehrenfahnen halten sehen. An K. ist das Eigenthümlichste, daß sein Leben mit seinem Schaffen in weit unmittelbarerem Zusammenhange steht als bei irgend einem anderen deutschen Dichter: seine Fehler sind auf dieses zu ehrliche Dichten seines inneren Lebens zurückzuführen; aber viele seiner Vorzüge würden sicher verloren gegangen sein, wenn er, vorausgesetzt daß dies überhaupt möglich war, sein Leben mehr beherrscht und seine Kunst, wie ein Priester das Heilige vom Ungeweihten, mehr von ihm geschieden hätte. Diese Lebensbedingung Kleist’s machte sein Dichterorgan zu einem vorzugsweise dramatischen und selbst wo er in der Lyrik das Höchste erreichte, im „Letzten Lied“, entrollt er auf dem düstern Hintergrunde einer gewitterschweren Zeit den erschütternden Verlauf seiner eigenen Tragödie. Ein sprödes, norddeutsches, aber wie mit Düften des Urwaldes getränktes Element geht durch alle seine Dichtungen, von denen die meisten erst nach einer
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