Saemtliche Werke von Jean Paul
nicht aus meiner, damit er über seine Stunde hinauslebte und seinen Eid bräche. – Es gibt nichts Höheres als einen Menschen, der das Leben verachtet; und in dieser Hoheit stand mein Freund vor mir, der in seiner Höhle mehr gewagt und besser gelebt hatte als alle Scheerauer. – Ich sah es ihm an, daß er sterben wollte. Es war Nacht. Wir waren in der Stube, wo die wächsernen Mumien mit schwarzen Sträußern stehen, die den Menschen erinnern, wie wenig er war, wie wenig er ist. ›Beuge‹, sagt’ er (denn ich kettete mich an ihn), ›deinen Kopf weg, daß ich in den Sirius sehe – daß ich in den unendlichen Himmel hinausgehe und einen Trost habe – daß ich mich hinwegsetze über eine Erde mehr oder weniger. O mache mir, Freund, das Sterben nicht so sauer – und zürne und traure nicht. – O schau, wie der ganze Himmel von einer Unendlichkeit zur andern schimmert und lebt und nichts droben tot ist; – die Menschen aller dieser Wachs-Leichname wohnen darin in jenem Blau – O ihr Abgeschiednen, heute zieh’ ich auch zu euch, in welche Sonne auch mein menschlicher Lichtfunke springen möge, wenn der Körper von ihm niederschmilzt: ich find’ euch wieder.‹ –
Das Ausschlagen jeder Viertelstunde hatte bisher mein Herz durchstochen; aber die letzte Viertelstunde tönte mich wie eine Leichenglocke an; ich bewachte ängstlich seine Hände und Schritte; er fiel um mich. ›Nein! nein!‹ sagt’ ich, ›hier ist kein Abschied – ich hasse dich bis ins Grab hinein, wenn du etwas im Sinne hast – umarme mich nicht.‹ – Er hatt’ es schon getan; sein ganzes Wesen war ein schlagendes Herz; er wollte in der Empfindung der Freundschaft vergehen; er preßte seine Brust an meine, und seine Seele an meine: ›Ich umarme dich‹ (sagt’ er) ›auf der Erde – in welche Welt auch der Tod mich werfe: ich vergesse deiner nicht; ich werde dort nach der Erde sehen und meine Arme ausbreiten nach dem irdischen Freunde, und nichts soll meine Arme füllen als die getreue, die belastete Brust derer, die mit mir hier gelitten, die mit mir hier die Erde getragen haben…. Sieh! du weinst und wolltest mich doch nicht umarmen! o Geliebter! – an dir fühl’ ich die Eitelkeit der Erde nicht – – du wirst ja auch sterben!… Großes Wesen über der Erde….‹ – Hier riß er sich von mir und stürzte auf seine Knie und betete. ›Zerstör mich nicht, bestraf mich nicht! – ich gehe weg von dieser Erde; du weißt, wo der Mensch ankommt; du weißt, was das Erdenleben und das Erdentun ist – Aber, o Gott, der Mensch hat ein zweites Herz, eine zweite Seele, seinen Freund! Gib mir den Freund wieder mit meinem Leben – wenn einmal alle Menschenherzen stocken und alles Menschenblut in Gräbern verfault: o gütiges, liebendes Wesen! hauch dann über die Menschen und zeige der Ewigkeit ihre Liebe!‹ Ein Aufsprung – ein Flug an mich – eine umarmende Zerdrückung – ein Schlag an die Wand – ein Schuß aus ihr –
Er lebt aber noch.
Fenk.«
Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auentha l
Eine Art Idylle
Wie war dein Leben und Sterben so sanft und meerstille, du vergnügtes Schulmeisterlein Wutz! Der stille laue Himmel eines Nachsommers ging nicht mit Gewölk, sondern mit Duft um dein Leben herum: deine Epochen waren die Schwankungen und dein Sterben war das Umlegen einer Lilie, deren Blätter auf stehende Blumen flattern – und schon außer dem Grabe schliefest du sanft!
Jetzt aber, meine Freunde, müssen vor allen Dingen die Stühle um den Ofen, der Schenktisch mit dem Trinkwasser an unsre Knie gerückt und die Vorhänge zugezogen und die Schlafmützen aufgesetzt werden, und an die grand monde über der Gasse drüben und ans Palais royal muß keiner von uns denken, bloß weil ich die ruhige Geschichte des vergnügten Schulmeisterlein erzähle – und du, mein lieber Christian, der du eine einatmende Brust für die einzigen feuerbeständigen Freuden des Lebens, für die häuslichen, hast, setze dich auf den Arm des Großvaterstuhls, aus dem ich heraus erzähle, und lehne dich zuweilen ein wenig an mich! Du machst mich gar nicht irre.
Seit der Schwedenzeit waren die Wutze Schulmeister in Auenthal, und ich glaube nicht, daß einer vom Pfarrer oder von seiner Gemeinde verklagt wurde. Allemal acht oder neun Jahre nach der Hochzeit versahen Wutz und Sohn das Amt mit Verstand – unser Maria Wutz dozierte unter seinem Vater schon in der Woche das Abc, in der er das Buchstabieren erlernte, das
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