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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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Liebe
    Am 26sten Februar fand Viktor morgens bei Joachimen – die stolze Klotilde. Ich weiß nicht, war diese aus Zufall oder Höflichkeit oder deswegen da, um einer Person, die von Viktor mit einigem Interesse behandelt wurde, näher zu begegnen. Aber, o Himmel! die Wangen dieser Klotilde waren blaß, die Augen wie von einer ewigen Träne überhaucht, die Stimme gerührt, gleichsam gebrochen, und der bleiche Marmorkörper schien nur das Bild zu sein, das am Grabmal der entflognen Seele steht. Viktor vergaß die ganze Vergangenheit, und sein Innerstes weinte vor Sehnsucht, ihr beizustehen und aus ihrem Leben alle trübe Winterlandschaften wegzulöschen. »Ich befinde mich heute wie gewöhnlich«, sagte sie auf seine hofärztliche Frage, und er wußte nichts aus dieser unerwarteten Erbleichung zu machen – er konnte heute überhaupt nichts machen, nicht einmal einen Scherz oder eine Schmeichelei – seine in Mitleid zergangne Seele wollte keine Form annehmen – verwirrt war er auch. Klotilde ging bald; – und ihm wär’s heute für ganz Großpolen (diese in der Eisfahrt der Völker- und Kronenwanderung schön sich abschleifende Eisscholle) nicht möglich gewesen, nach ihr noch eine halbe Stunde zu verbleiben.
    Er hätte ohnehin gehen müssen; denn der Hofjunker Matthieu rief ihn zur Fürstin. Die Zeit war ungewöhnlich: er konnte es nicht erwarten und nicht erraten, was es gebe. Der Evangelist lächelte (das tat er überhaupt jetzt öfter über die Fürstin) und sagte: »den Fürsten und Fürstinnen sei bloß das Wichtige klein, und das Kleine wichtig, wie Leibniz von sich selber sagte . Wenn ihnen die Krone und eine Haarnadel miteinander vom Kopfe fallen: so suchen sie vor allen Dingen die Nadel.«
    Beiläufig! Es wäre Bosheit von mir gegen den edlen Matthieu, wenn ichs länger unterdrückte, daß er seit einiger Zeit gegen meinen Helden viel sanfter und inbrünstiger geworden – welches bloß an einem andern Menschen als er, ich meine an einem nachstellenden Schelm, ein Kains-Zeichen wäre und etwan so viel bedeutete wie das Wedeln eines Katzenschwanzes. –
    Viktor erstaunte über die Bitte der Fürstin, – Klotilden zu heilen: das heißt, nicht über das Bitten – denn sie beehrte ihn öfters damit –, sondern über die Nachricht, daß Klotilde, auf deren Wangen er bisher die Äpfelblüten der Gesundheit auf Kosten seiner Seele in den Rennwochen gesehen, bloß taube Blüten getragen, nämlich bloß Schminke, die ihr die Fürstin wegen der Gleichblüte mit den übrigen roten Kupferblumen des Hofes hatte befehlen müssen. Agnola, die, wie ihr Stand, rasch war, ersuchte ihn noch, als er zur medizinischen Oberexaminationskommission ernennet war, sein Amt nur ja recht bald, schon heute sogleich im Schauspiele zu verwalten, wo er die Examinandin treffen werde.
    Und er fand sie. Das Schauspiel war ein aus Eldorado gelieferter funkelnder Solitär, Goethes Iphigenie. Da er die Kranke wieder mit dem Abendrot der Schminke sah, worin sie auf fremdes Geheiß sogar unter dem Untergehen schimmern sollte – da er dieses stille, zum Altar gleichsam rot bezeichnete Opfer, das er und andere von seinen Fluren, von seinen einsamen Blumen weggetrieben unter die Opfermesser des Hofs, den Untergang seiner Wünsche stumm erdulden sah, und da er mit dem weiblichen Verstummen das männliche Toben verglich – und da Klotilde ihren Schmerz der Iphigenie geliehen zu haben schien mit der Bitte: »Nimm mein Herz, nimm meine Stimme und klage damit, klage damit über die Entfernung von den Jugendgefilden, über die Entfernung vom geliebten Bruder« – und da er sah, wie sie die Augen fester an die Iphigenie, wenn sie nach dem verlornen Bruder schmachtete, anzuschließen suchte, um die Ergießung und die Richtung derselben (nach ihrem eignen auf dem Parterre, nach Flamin) zu beherrschen: o dann hatten so große Schmerzen und ihre Zeichen in seinen Augen und Mienen einen solchen Vorwand nötig, wie die Allmacht des Genius ist, um mit Schmerzen der dichterischen Täuschung verwechselt zu werden.
    Nie hat ein Arzt seine Kranke mit größerer Teilnahme und Schonung ausgefragt, als er Klotilden im nächsten Zwischenakte: er entschuldigte seine Zudringlichkeit mit dem Befehle der Fürstin. Ich muß vorher berichten, daß die Kranke – ob er gleich bisher ein fallender Petrus war, den manches Hahngeschrei mehr zum Weinen als zum Bessern gebracht – doch die zweite Person blieb, die er nie verleugnete, d. h. die er nie mit seinen jetzigen

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