Saemtliche Werke von Jean Paul
er in Joachimens Zimmer die Prospekte von Maienthal – welche Giulia vom Porträtmaler Klotildens machen lassen – zu Gesichte bekam: so zog er mitten im Scherzen das Auge von ihnen mit einem Seufzer weg – – Aber geheilt wurd’ er nicht, als bis das Schicksal sagte: jetzt! Da klopfte der Theaterschlüssel auf einmal, der die Menschen in der Schauspielerprobe des Lebens – das Schauspiel selber wird erst im zweiten gegeben – kommen und handeln heißet; und es trug sich etwas zu, was ich sogleich im folgenden Kapitel berichten werde, wenn ich in diesem auserzählet habe, wie Viktor mit allen Leuten um sich her stand.
Mit manchen eigentlich schlecht – erstlich mit Klotilden. Sie wohnte zwar bei dem Minister – als Hofdame hätte sie ins Paulinum gehört, allein der Fürst hatte es wegen der Leichtigkeit, sie zu sehen, so karten lassen –, aber sie war immer um die Fürstin, mit der sie bald ein ähnlicher Ernst und eine ähnliche Zurückhaltung verknüpfte. Ihre Gleichgültigkeit gegen einen, der mit ihr einen gemeinschaftlichen Freund und Lehrer hatte, gab diesem Viktor eine noch größere, zumal da er wußte, sie müßte fühlen, daß in dieser kalten Berg- und Hofluft nur ein einziger, obwohl falber Nelken-Absenker ihrer schönen Seele blühe, er selber nämlich. Auch mußte ihm der Zwang des Wohlstandes, sie kalt anzuschauen, zur Gewohnheit werden. Am schlimmsten wars für ihn, daß sie gleichgültig war ohne Empfindlichkeit und kalt mit Achtung für ihn. Andere waren ganz toll über das »tugendhafte Phlegma dieser Pygmalions-Bildsäule.« Der edle Matz nannte sie oft die heilige Jungfrau oder die Demoiselle Mutter Gottes. Es konstiert und erhellet ganz deutlich aus den vor mir aufgeschlagenen Hunds-Manualakten, daß einige Herren vom Hofe nach verschiedenen verdorbnen Versuchen, sich die mit so vieler Schönheit unverträgliche Tugend zu erklären, bald aus Temperament, bald aus verhehlter Liebe, bald aus einer koketten Sprödigkeit, die sich wie das Wasser bei St. Clermont endlich zur eignen Brücke über sich selber versteinert, daß diese listigen Herren recht glücklich auf die Vermutung verfielen, Klotilde nehme diese Maske als eine Kopie des Gesichts der Fürstin vor ihres, um in der Gunst zu bleiben. Daher wurde Klotildens züchtige Tugend von den meisten mit größerer Schonung beurteilt, indem man sie als eine absichtliche Nachahmung des ähnlichen Fehlers der Fürstin schon entschuldigen konnte durch das Beispiel ähnlicher Nachahmungen, da Hofleute oft die größten äußern Naturfehler, ja die Tugenden eines Regenten nachäfften. – So dachte wenigstens der billigere Teil des Hofes.
Agnola war unserem Helden einen immer größern Dank für die Besuche Jenners zu zeigen beflissen, ob sie gleich, denk’ ich, die untreue Absicht des Fürsten in der Gegenwart Klotildens ebensogut entdecken konnte, als sie zuweilen in Viktors Seele bei der Gegenwart Joachimens blicken mochte… Überhaupt hätt’ ich den Leser längst bitten sollen aufzupassen: ich trage die Sachen mit erlaubter Dummheit vor, obwohl mit historischer Treue; sind nun feine, spitzbübische, wichtige, intrigante Züge und Winke darin, so ists ohne mein Wissen, und ich kann sie also dem Leser nicht anweisen mit einer Zeigerstange, oder ansagen mit einer Feuertrommel, sondern er selber – weil er Hofgeschichten versteht – muß wissen, was ich mit meinen Winken haben will, nicht ich .
Mit Joachimen wäre Viktor recht gut gefahren – da er alle Fehler, die er bei andern Weibern und nicht bei ihr antraf, ihr als Tugenden in Rechnung brachte, und da er sich mit ihrem Ich mehr verflocht; denn die Fehler der Mädchen kommen wie Schokolade und Tabak dem Gaumen anfangs desto toller vor, je besser sie ihm nachher schmecken – er wäre gut gefahren, ohne zwei Ecksteine; aber die waren da. Der erste war – denn ich will seine kleine Ärgernis über die kurze Dauer ihrer schönen Weihnacht-Empfindsamkeit nicht rechnen –, daß sie immer Klotilden tadelte, besonders ihre »affektierte« Tugend. Der zweite war, daß Klotilde sie ebensowenig suchte: Viktor konnte niemand lieben, den Klotilde nicht liebte. – Und jetzt sind die Rennwochen und Visiten-Taranteltanzstunden eines Menschen zu Ende; aber ach die ganze Nachwelt muß noch dieselbe heiße Linie der Narrheit und Jugend passieren.
24. Hundpostta g
Schminke – Krankheit Klotildens – Schauspiel Iphigenie – Unterschied der bürgerlichen und der stiftfähigen
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