Saemtliche Werke von Jean Paul
unter der Traufe steht, endlich Narben graben?
Nichts erkältet mehr die edelsten Teile des innern Menschen als Umgang mit Personen, an denen man keinen Anteil nehmen kann. Dieses Gastwirtleben am Hofe, täglich Leute zu sehen, die nicht einmal Ich sagen, deren Verhältnisse man so gleichgültig unkennt wie deren Talente, wenn sie nicht ein Bedürfnis sucht – dieses Haschen nur nach dem nächsten Augenblick – dieses Vorüberrennen der feinsten und geistreichsten Fremden und Besuchameisen, die in drei Tagen vergessen sind – alles dieses, was die Paläste zu russischen Eispalästen macht, wo sogar der Ofen voll Naphthaflammen eine Eisscholle ist, wozu ich das komische Salz gar nicht zu setzen brauche, das ohnehin alles warme Blut, wie glauberisches das heiße Wasser, erkältet, alles dieses machte sein Herz öde, seine Tage kahl und lästig, seine Nächte beklommen, sein Betragen zu kalt gegen Gute, zu duldend gegen Schlimme.
Noch dazu schwieg sein Emanuel und schloß, wie die Natur, seine Blumen in sich ein. – Wen die Natur ernährt und erhebt, der ist im Winter nicht so gut als im Sommer. Die Erde hatte ihren Pudermantel von Schnee um und den ganzen Tag die Nachtkleidung an, die Bäume hatten ihre Knospen in die Flocken-Papilloten gewickelt, und die Äste sahen wie Haarnadeln aus – Viktors Seele war wie die Natur; o! der Himmel wärme bald in beiden die Blumen des Frühlings an!
Da die Krankheitgeschichte meines Viktor mich zu schmerzhaft an die versteckten Gifte im menschlichen Körper erinnert: so soll sie bald zu Ende sein. Es gefiel ihm, daß er durch das Herumflattern immer galanter und kälter gegen alle weibliche Personen wurde – das Seil der Liebe schneidet weniger tief in den Busen ein, wenn es, in Fäden und Flocken ausgezupft, um alle flattert. Er, der, wie sein Namenvetter, der heilige Sebastian, ganz mit (Amors) Pfeilen vollgeschossen aussah, ließ Pfeile anderer Art gegen das ganze Geschlecht, wiewohl nie gegen Einzelwesen, fliegen. In diesem letzten Umstand war seine Bitterkeit von Matthieus seiner unterschieden, der z. B. von seiner eignen Base, die ihre Schönheit durch späte Blattern verloren, sagen konnte: »Ihre Schönheit hielt sich recht tapfer gegen die Blattern und trug aus diesem Siege die herrlichsten Narben davon, und zwar alle, wie Pompejus’ Ritter, von vornen im Gesicht.«
Wie Teufelsdreck zum haut-gout gebracht wird, so würzet man das feinste savoir vivre durch einige kühne Unhöflichkeiten. Bastian war in der Tarantelzeit durch nichts verlegen zu machen – er ging und kam wie ein Pariser ohne Umstände – er suchte oft kühne, aber vorteilhafte Stellungen seines Körpers – unter dem Schauspiel tat er Reisen durch die Logen, wie der Fürst durch die Kulissen – er brachte es (obwohl mit Mühe, und nur indem er sich immer das Muster der Hofleute vorhielt) fünfmal dahin, daß er gleichgültig zuhörte oder gar wegschauete, wenn ihm der andere erzählte; welches alles, wenn nicht wesentliche, doch Nebenstücke der wahren Höflichkeit sind.
Auch will ich zu seinem Ruhm nicht unbemerkt lassen, daß er sich die ordentlichen erotischen und satirischen Freiheiten der gallikanischen Kirche gegen mehre Weiber auf einmal nahm; denn vor einer einsamen hatt’ er noch die alte Ehrerbietung eines edlen Herzens. Ich will von jenem doch ein Beispiel geben. Einmal war er unter fünf Verleumderinnen (die Gesellschaft bestand aus sechs Frauenzimmern und einer Mannsperson); die häßlichste schwärzte alle, sogar gedruckte Mädchen an, z. B. die verstorbene Klarisse, der sie vorrückte, sie habe gegen Lovelace nicht genug gewußt sauver les dehors de la vertu. Man muß es gewärtig sein, wie die Königsberger Schule es in ihren Rezensionen aufnimmt, daß er sich vor der Verleumderin auf ein Knie hinließ und mit einigem Ernst sagte: »O Clarisse! Voici Votre Lovelace, retranchons quatre tomes et commençons comme les faiseurs d’Epopées par le reste. «
Freilich warf er sich die Tarantelzeit häufig unter der Tarantelzeit vor; und da der Heidenvorhof seines Herzens so voll Weiber wurde, indes im Allerheiligsten desselben nichts war als ein stummes Dunkel, und da sein Kopf ein Insektenkabinett von Hofkleinigkeiten wurde: so seufzete er freilich oft in seinem Erker: »O! komme bald, guter Vater, damit dein sinkender Sohn aus diesem schmutzigen Märznebel in ein helleres Leben steige, eh’ er sich ganz befleckt hat, daß er nicht einmal diesen Wunsch mehr tut« – und sooft
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