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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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den kleinen Blinden zurück und riß unter Tränen und Küssen die Bandage auf – besah die Augen lange am Fenster – und sagte nach einem tiefen Atemzug: »Gott Lob und Dank! er wird nicht blind!« Erst jetzt schlug der Doktor seine Arme mit doppelter Wärme um den Freund: »Verzeihs, es ist mein Kind!« Gleichwohl nahm er Amandus wieder ans Licht und beschauete ihn noch länger und sagte mit hinaufgezogenen Augenbrauen: »Bloß die Sclerotica scheint lädiert; die Okulistin zapfte die wässerige Feuchtigkeit heraus. In Pavia sah ichs alle Wochen an Hunden, denen die Zahnärzte (unsre medizinischen Lehnsvettern) die Augen aufschnitten und eine dumme Salbe daraufstrichen. Wenn nachher die Feuchtigkeit und das Gesicht von selber wiederkamen: so hatt’ es die Salbe getan.«
    Ich übergehe den Strom von gesprächiger und freudiger Ergießung beider Freunde, vor dem sie kaum mehr hörten und sahen, am wenigsten die Uhr – »Ach sie kommen!«sagte Fenk, nämlich die Gäste. – Da meine Leser Verstand genug haben: so können sie mich, hoff’ ich, auserzählen lassen, eh’ sie ihre Zornrute gegen den bildlichen Steiß des Doktors hinter dem Spiegel vorholen. –
    Niemand als er haßte so brennend das Enge, das Unduldsame und Kleinstädtsche der Unterscheerauer, womit sie sich ein so kurzes Leben verkürzten und ein so saueres versäuerten. – »Mich ekelts, von ihnen gelobt zu werden«, sagt’ er nicht bloß, sondern er erboste auch gern mit dem schlimmsten Anstrich seiner reinsten Sitten alles von einem Tore zum andern; indes vermocht’ er aus Herzens-Weichheit mehr nicht zu ärgern als die ganze Stadt in grosso, einen allein nie. Deswegen grassierte er am zweiten Morgen seiner Ankunft wie eine Influenza von einem Hause zum andern und bat alle Muhmen, Basen, Blut feinde , Leute, die ihn nichts angingen als die liebe Christenheit, z. B. den Flößinspektor Peuschel, den Lottodirektor Eckert mit seinen vier Spätbirnen von Töchtern, und was nur unterscheerauschen Atem hatte, das bat er sämtlich zusammen auf den Nachmittag, auf eine Reiseseltenheit, nämlich auf ein Herbarium vivum, das er zeigen werde: »es sei kein lebendiges Kräuterbuch, sondern etwas ganz Besondres, und von den Gletschern wäre das Beste her.«
    Diese kamen eben jetzo alle – nicht weil sie das geringste nach einem Kräuterbuch fragten, sondern weil sie es doch sehen wollten und die Haushaltung des unbeweibten Doktors nebenbei. Ich muß den europäischen Höfen so viel gestehen, daß sich die Landsmannschaft und Basenschaft mit Grazie hineinhustete, hineinfegte und -räusperte; und den vier Spätbirnen fehlt’ es nicht an Welt, sondern sie machten statt der Verbeugung eine Vertiefung und bewegten sich sehr gut steilrecht. Der Hauswirt trug alsdann zwei lange Kräuterfolianten herein und sagte freundlich, er wolle gern alles herweisen – nun zündete er die Hölle an, in die er die Gesellschaft warf – er kroch mit Raupenfüßen und Schneckenschleim von Blatt zu Blatt des Buches sowohl als des Krautes – er zeigte nichts oberflächlich – er ging die Pistillen, die Stigmen, die Antheren eines jeden Gewächses genau durch – er sagte, er würde sie ermüden, wenn er weitläufiger wäre, und beschrieb also Namen, Land, Naturgeschichte eines jeden Grases ganz kurz – – alle Gesichter brannten, alle Rücken brühten sich, alle Fußzehen zuckten. – Vergeblich versuchte eine Base, dem blinden Amandus mit den Augen nachzulaufen, um nur etwas Animalisches zu ersehen; der Kräuterkenner befestigte sie an einen neuen Staubbeutel, den er gerade anpries. Schon bis an die Pentandria hatte er seinen Klub geschleift, als er sagte: »Der heutige Abend soll uns nahe um die Dodecandria finden; aber Schweiß und Fleiß kostets.« – Er wurde beim allgemeinen Jammer über einen solchen Fegfeuer-Nachmittag, dergleichen noch kein Scheerauer erlebt hatte, immer vergnügter und sagte, ihre Aufmerksamkeit feuere am meisten ihn an. – Gleichwohl ließen sich die botanischen Magistranden aus einem Blatte ins andere martern und wollten verbindlich bleiben – bis der Rittmeister, ob er gleich den Scherz erriet, teufelstoll wurde und fort wollte. Der Doktor sagte: »den zweiten Folianten müßt’ er ohnehin für eine andre Stunde versparen; aber er wünschte, sie kämen bald wieder, das soll’ ihm erst ein Beweis sein, daß es ihnen heute gefallen.« Der bloße Gedanke an den zweiten Torturfolianten – wogegen der Theresianische Kodex mit seinen

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