Saemtliche Werke von Jean Paul
Simultan- oder doch Universitätkirche – das Herz in die triumphierende, und die Milz in ein Filial. Wenn ich aber erster Leichenprediger eines gekrönten Unterleibes wäre: so hätt’ ich einen andern Gang; ich nähme den Schlund zum Eingange der – Trauerrede und den Blinddarm zum Beschluß! Und könnt’ ich nicht in den drei Teilen der Predigt die drei Konkavitäten durchgehen, darin die edlern Teile des Körpers flüchtig berühren und endlich auf den letzten Wegen desselben mich weinend und preisend aus dem Staube machen? Denn so scherzt man hienieden.« Es gibt einen poetischen Wahnsinn, aber auch einen humoristischen, den Sterne hatte; aber nur Leser von vollendetem Geschmack halten höchste Anspannung nicht für Überspannung.
Der Falkenbergische Reisezug kam in Scheerau abends an, abends, der schönsten Zeit, um anzulangen, daher so viele abends in der andern Welt anlangen. Gustav schien schon dort gewesen zu sein, während seiner Entführung. Da aber von meinen Lesern die wenigsten der Schönheit wegen nach Scheerau sind entführt worden und sie also die Stadt nicht kennen: so soll sie ihnen der zehnte Ausschnitt vorzeigen.
Zehnter Sekto r
Ober-, Unterscheerau – Hoppedizel – Kräuterbuch – Besuchbräune – Fürstenfeder
Es ist noch keinem Geographen und Oberkonsistorialrat das Unglück begegnet, das Herr Büsching hatte, daß er in seinem topographischen Atlas ein ganzes gutes Fürstentum ausließ, das auf der wetterauischen Grafenbank mit sitzt und Scheerau heißet – das nach dem Reichsmatrikularanschlag 8 / 9 zu Roß und 9 2 / 3 zu Fuße und zum Kammerzieler 21 Fl. 1 / 19 Xr. gibt – das unter Karl IV. gefürstet wurde – das seine fünf hübschen Landesstände hat, die allerhand zu sagen, aber nichts zu tun haben, nämlich den Kommentur des deutschen Ordens, die Universität, die Ritterschaft, die Städte und die Dörfer – und das unter andern Einwohnern auch mich hat. Ich möchte nicht an der Stelle eines solchen Schreib-Mannes sein, der sonst in jede Sackgasse mit seinem geographischen Spiegel kriecht, um sie zurückzuspiegeln, der aber hier ein ganzes Fürstentum samt seinen fünf paralytischen Landständen rein übersprungen hat; ich weiß, wie es ihn kränkt, aber nun, da ich mit der Welt darüber gesprochen, ist ihm nicht mehr zu helfen.
Die Hauptstadt Scheerau besteht eigentlich aus zwei Städten, aus Neu- oder Oberscheerau, wo der Fürst residiert, und aus Alt- oder Unterscheerau, wo der Rittmeister logiert. Ich meines Orts bin längst überzeugt, daß die Sachsenhäuser nicht halb so weit von den Frankfurtern abstehen als die Altscheerauer von den Neuscheerauern, in Ton, Gesicht, Kost und allem. Der Neuscheerauer hat Hofton genug, um Anstand und Schulden und Wut zu außerhäuslichen Freuden zu haben, und doch wieder zu viel Kanzleiton (weil alle höchste Landeskollegien da sind), um nicht überall steife Subordination entweder anzuerkennen oder abzufodern und um nicht aus dem Kammerherrn in den Kanzelisten und Rechnungrevisor zurückzufallen. Das sieht nun der Altscheerauer ein. Der Neuscheerauer hingegen sieht ein, daß jener folgende Züge hat: wenn in China die Mäuler einer Tischgenossenschaft sich wie ein Doppelklavier zu gleicher Zeit bewegen müssen; wenn in Monomotapa das Land dem Kaiser nachzuniesen pflegt: so gehe man nach Altscheerau, wo es noch viel besser ist; in derselben Minute müssen alle Gassen weinen, husten, beten, laxieren, hassen und pissen – ihre Konduitenliste sieht wie eine Partitur aus, aus der alle das nämliche Stück, nur mit verschiednen Instrumenten und Stimmen spielen – (bloß in der Musik regiert sie einiger wahre Freiheitgeist, und keiner bindet seinen Ellen- oder Fiedelbogen oder Tangenten sklavisch an seines Nachbars seinen) – sie hassen schöne Wissenschaften so sehr wie sich untereinander – unfähig, gesellschaftliches Vergnügen zu entbehren, zu veranstalten, zu genießen, unfähig zu wagen, einander offen zu hassen und zu lieben und zu ertragen, bohren sie sich in ihre Geldhügel und achten öffentlich den Reichsten und geheim den Verwandten oder gar niemand – ohne Geschmack und ohne Patriotismus und ohne Lektüre…
Ich mach’ es aber gar zu toll; kein Leser wird hinter dem Rittmeister einen Fuß nach Unterscheerau setzen wollen. Ihr größter Fehler ist, daß sie nichts taugen; aber sonst sind sie fleißig, voll lauter Kaufleute, enthaltsam und fegen die Gassen und Gesichter hübsch. Residenzstädte haben wie
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