Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
eurem Schicksale. Wer den Mut zu sündigen hat, der muß auch den Mut haben, die Strafe auf sich zu nehmen.«
»Ich bin unschuldig. Ich habe keinen Indianer erschossen. Knox hat es gethan.«
»Lügt nicht! Es ist eine freche Feigheit, die Schuld auf ihn allein wälzen zu wollen. Bereut lieber Eure , damit ihr jenseits Vergebung findet!«
»Ich will aber nicht sterben; ich mag nicht sterben! Hilfe, Hilfe, Hilfe!«
Er brüllte so laut, daß es über die weite Ebene hinschallte, und zerrte dabei so an seinen Fesseln, daß ihm das Blut aus dem Fleische spritzte. Da stand der »große Wolf« auf und gab mit der Hand ein Zeichen, daß er sprechen wolle. Aller Augen richteten sich auf ihn. Er erzählte in der kurzen, kräftigen und doch schwunghaften Weise eines indianischen Redekünstlers, was geschehen war, und schilderte das verräterische Gebaren der Bleichgesichter, mit denen man im Frieden gelebt hatte, und welche nicht beleidigt worden waren, mit Worten, welche einen so tiefen Eindruck auf die Roten machten, daß diese mit den Waffen zu rasseln und zu klirren begannen. Dann erklärte er, daß die beiden Mörder zum Tode am Marterpfahle verurteilt seien und die Hinrichtung nun beginnen werde. Als er geendet und sich niedergesetzt hatte, erhob Hilton nochmals seine Stimme, um Old Shatterhand zur Fürbitte zu bewegen.
»Nun gut, ich will es versuchen,« antwortete dieser. »Kann ich nicht den Tod abwenden, so erreiche ich doch so viel, daß derselbe ein schneller und nicht so qualvoller wird.«
Er wendete sich an die Häuptlinge, hatte aber noch nicht den Mund zum Sprechen geöffnet, als der »große Wolf« ihn zornig anfuhr: »Du weißt, daß ich die Sprache der Bleichgesichter spreche und also verstanden habe, was du diesem Hunde dort versprochen hast. Habe ich nicht genug gethan, indem ich dir so günstige Bedingungen stellte? Willst du gegen unser Urteil sprechen und meine Krieger dadurch so erzürnen, daß ich dich nicht gegen sie zu beschützen vermag? Schweig also, und sage kein Wort! Du hast genug an dich selbst zu denken und solltest dich nicht um andre bekümmern. Wenn du die Partei dieser Mörder ergreifst, so stellst du dich ihnen gleich und wirst dasselbe Schicksal erleiden.«
»Meine Religion gebietet mir, eine Fürbitte zu thun,« war die einzige Entschuldigung, welche der Weiße vorbringen durfte.
»Nach welcher Religion haben wir uns zu richten, nach der deinigen oder nach der unsrigen? Hat eure Religion es diesen Hunden geboten, uns im tiefsten Frieden zu überfallen, unsre Pferde zu rauben und unsre Krieger zu töten? Nein! Also soll eure Religion auch keinen Einfluß auf die Bestrafung der Thäter haben.«
Er wendete sich ab und gab mit der Hand ein Zeichen, worauf wohl ein Dutzend Krieger hervortraten. Dann drehte er sich wieder zu Old Shatterhand um und erklärte diesem: »Hier stehen die Anverwandten derer, welche ermordet wurden. Sie haben das Recht, die Strafe zu beginnen.«
»Worin soll dieselbe bestehen?« erkundigte sich der Jäger.
»Aus verschiedenen Qualen. Zuerst wird man mit Messern nach ihnen werfen.«
Wenn bei den Roten ein Feind am Marterpfahle zu sterben hat, so suchen sie die Qualen möglichst zu verlängern. Die ihm beigebrachten Wunden sind erst nur sehr leicht und werden nach und nach schwerer. Gewöhnlich beginnt man mit dem Messerwerfen, welches in der Weise vorgenommen wird, daß hintereinander die verschiedenen Glieder und Körperstellen angegeben werden, welche von den Messern getroffen werden oder in denen dieselben stecken bleiben sollen. Man wählt diese Ziele so aus, daß nicht viel Blut vergossen wird, damit der Gemarterte nicht vorzeitig an Blutverlust stirbt.
»Der rechte Daumen!« gebot der »große Wolf«.
Die Arme der Gefangenen waren in der Weise angebunden, daß die Hände frei hingen. Die hervorgetretenen Roten sonderten sich in zwei Abteilungen, die eine für Hilton und die andre für Knox. Sie nahmen einen Abstand von zwölf Schritten und standen hintereinander. Der Voranstehende nahm sein Messer in die erhobene Rechte, zwischen die ersten drei Finger, zielte, warf und traf den Daumen. Hilton stieß einen Schmerzensschrei aus. Knox wurde auch getroffen, doch war seine Ohnmacht so tief, daß er nicht erwachte.
»Den Zeigefinger«, befahl der Häuptling.
In dieser Weise gab er der Reihe nach die Finger an, welche getroffen werden sollten und auch wirklich mit erstaunlicher Genauigkeit getroffen wurden. Hatte Hilton erst einen einzelnen Schrei
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