Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
aus am rechten, der andre am linken Ufer hin; oben begegnen sie sich, und dann kehrt jeder am gegenseitigen Ufer zurück.«
»Du hast recht,« erklärte der Häuptling. »Aber welcher soll rechts, und welcher links?«
»Um auch hier gerecht zu sein, mag das Los entscheiden. Siehe, ich nehme hier zwei Grashalme auf, und die beiden Schwimmer wählen. Wer den längeren erhält, schwimmt nach links, wer den kürzeren, nach rechts.«
»Gut, so soll es sein. Howgh.«
Dieses letztere Wort wurde zu Davys Glück gesprochen, denn es zeigte an, daß an diesem Beschlusse nichts zu ändern sei. Old Shatterhand hatte zwei Halme gepflückt, aber so, daß sie von genau gleicher Länge waren. Er trat zuerst zu dem »roten Fisch« und ließ diesen wählen; dann gab er Davy seinen Halm, knipp aber einen Augenblick vorher ein kleines Stückchen davon ab. Die Halme wurden verglichen; Davy hatte den kürzeren und mußte also nach rechts. Sein Gegner zeigte sich darüber nicht im mindesten zornig; er schien jetzt noch gar keine Ahnung von dem Nachteile zu haben, in welchem er sich befand. Aber desto heller war Davys Gesicht geworden. Er musterte die Wasserfläche und raunte Old Shatterhand zu: »Ich weiß nicht, wie ich zu dem kleinen Halm gekommen bin; aber er rettet mich, denn ich hoffe, daß ich eher anlange. Die Strömung ist stark und wird ihm zu schaffen machen.«
Er warf seine Kleider ab und stellte sich in das hier seichte Wasser. Der »rote Fisch« that ebenso. Jetzt klatschte der Häuptling in die Hände – ein Sprung, beide befanden sich auf tieferer Stelle und ruderten auseinander, der Rote nach links und der Weiße längs des Ufers hin nach rechts. »Davy, halte dich schtramm!« rief der Hobble-Frank dem Freunde nach.
Zunächst war kein großer Unterschied zwischen beiden zu bemerken. Der Indianer strich langsam aber weit und kraftvoll aus wie einer, welcher im Wasser zu Hause ist. Er blickte nur vor sich hin und hütete sich, sich nach dem Weißen umzusehen, weil er damit, wenn auch nur einen einzigen Augenblick, Zeit verloren hätte. Davy schwamm unruhiger, unregelmäßiger. Er war kein geübter Schwimmer und mußte erst in den richtigen, taktmäßigen Ausstrich kommen. Als sich dieser nicht bald einstellen wollte, legte er sich auf den Rücken, und nun ging es besser. Die Strömung war hier nicht mehr bedeutend, aber sie half ihm doch so vorwärts, daß er gegen den Roten nicht zurückblieb. Sie befanden sich jetzt beide auf den Langseiten des Sees.
Nun aber begann der Indianer einzusehen, daß der schwierigere Teil ihm zugefallen sei. Er hatte die ganze Seite des Sees bis hinauf an die Mündung des Bergbaches zu durchschwimmen, und bei jedem Striche, den er vorwärts that, fühlte er, daß die Strömung stärker wurde. Noch nahm er seine Kräfte zu Rate, bald aber sah man, daß er sich anstrengen mußte. Er stieß so kräftig aus, daß er bei jedem Stoße bis zur halben Brust aus dem Wasser kam.
Drüben bei Davy wurde die Strömung immer schwächer, aber sie hatte eine ihm günstige Richtung. Dazu kam, daß er sich mehr und mehr in die notwendigen Bewegungen fand. Er arbeitete regelmäßiger und bedächtiger. Er beobachtete den Erfolg jedes Stoßes und lernte schnell die falschen Bewegungen kennen. Darum verdoppelte sich seine Schnelligkeit, und bald war er dem Roten voraus, was diesen veranlaßte, seine Kräfte noch mehr anzustrengen, anstatt dieselben für die Überwindung der späteren, größeren Schwierigkeiten aufzusparen.
Jetzt näherte sich Davy dem Ausflusse. Die Strömung wurde stärker; sie wollte ihn ergreifen und mit sich fort aus der Bahn, aus dem See reißen. Er kämpfte schwer und kam gegen den Roten wieder zurück. Das war der Augenblick, auf welchen alles ankam.
Seine Gefährten standen am Ufer und sahen ihm in größter Spannung zu. »Der Rote holt ihn wieder ein,« sagte Jemmy in ängstlichem Tone. »Er wird verlieren.«
»Wenn er sich nur noch drei Ellen weiter arbeitet,« antwortete Old Shatterhand, »so hat er die Abströmung überwunden und ist gerettet.«
»Ja, ja,« stimmte Frank bei. »Er scheint das einzusehen. Wie er schtößt und schtampft! Da, recht so, er kommt vorwärts; er is drüber weg. Halleluja, vivat hoch!«
Es war dem Langen gelungen, den Widerstand zu besiegen, und er kam nun in ruhiges Wasser. Bald hatte er die rechte Langseite hinter sich, während der Rote seine linke noch nicht zurückgelegt hatte, und bog nun auf der Schmalseite nach dem Bacheinflusse ein.
Der
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