Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
Rote sah das und arbeitete wie wahnsinnig, um sein Leben zu retten; aber jeder, auch der kräftigste Stoß, brachte ihn kaum eine Elle vorwärts, während Davy das doppelte Resultat erzielte. Jetzt erreichte der letztere die Einflußstelle. Die Wasser des Baches faßten ihn und rissen ihn mit sich fort. Er hatte noch das dritte Drittel seines Weges zurückzulegen, während der Indianer noch kaum sein erstes überwunden hatte. Beide schossen aneinander vorüber.
»Hurra!« konnte Davy sich nicht enthalten zu schreien. Der Rote antwortete durch ein weithin hörbares wütendes Gebrüll.
Jetzt war es für Davy keine Anstrengung mehr, sondern eine Lust, zu schwimmen. Er brauchte nur leise zu rudern, um sich in der vorgeschriebenen Richtung zu halten. Nach und nach, je schwächer die Strömung wurde, mußte er wieder mehr Kraft anwenden, aber es ging so leicht, und es war ihm, als ob er all sein Leben lang nur immer geschwommen habe. Er erreichte die bestimmte Stelle des Ufers und stieg an das Land. Als er sich umdrehte, sah er, daß der Rote soeben den Ausfluß erreicht hatte und dort abermals mit der Strömung rang.
Ein kurzes, aber markerschütterndes Geheul der Roten erscholl; sie sagten damit, daß der »rote Fisch« verloren habe und dem Tode geweiht sei. Davy aber fuhr eiligst zunächst in seine Kleider und dann auf seine Gefährten los, um sie, wie zu einem zurückgeschenkten Leben erwacht, zu begrüßen. »Wer hätte das gedacht!« sagte er, indem er Old Shatterhand die Hände schüttelte. »Ich habe den besten Schwimmer der Utahs besiegt!«
»Durch einen Grashalm!« antwortete der Jäger lächelnd.
»Wie haben Sie es angefangen?«
»Später davon. Es war eine kleine Künstelei, die aber kein Betrug zu nennen ist, da es die Rettung deines Lebens galt, ohne daß die Roten einen Schaden davon haben.«
»So is es!« stimmte Frank bei, welcher unendlich glücklich über den Sieg seines Freundes war. »Dein Leben hat nich mal an eenem Schtroh-, sondern gar nur an eenem Grashalme gehangen. So is es ooch beim Wettloofen. Die Beene alleene thun es noch lange nich. Wer weeß, welcher Halm mir meine Rettung bringt. Ja, in den Beenen muß man’s ooch en bißchen haben, aber im Koppe noch viel mehr. Da schaut, hier kommt der Unglücksfisch!«
Der Indianer kam jetzt von rechts herbei, über fünf Minuten nach dem Weißen. Er stieg an das Land und setzte sich dort nieder, das Gesicht nach dem Wasser gewendet. Keiner der Roten blickte zu ihm hin; keiner bewegte sich; sie warteten, daß Davy dem Besiegten den Todesstoß gebe.
Da kam eine Squaw herbei, an jeder Hand ein Kind führend. Sie trat zu ihm. Er zog das eine Kind rechts, das andre links an sich, schob sie dann leise von sich, gab seinem Weibe die Hand und winkte ihr, sich zu entfernen. Dann suchte er mit dem Auge nach Davy und rief ihm zu: »Nani witsch, ne pokai – dein Messer, töte mich!«
Dem braven Langen traten fast die Thränen in die Augen. Er nahm das Weib mit den Kindern, schob sie ihm wieder zu und sagte halb englisch und halb im Utah, welches er nicht beherrschte: »No witsch – not pokai!«
Dann wendete er sich ab und trat zu den Gefährten zurück. Die Utahs hatten das gesehen und gehört. Der Häuptling fragte: »Warum tötest du ihn nicht?«
»Weil ich ein Christ bin. Ich schenke ihm das Leben.«
»Aber wenn er gesiegt hätte, wärest du von ihm erstochen worden!«
»Er hat nicht gesiegt und es also nicht thun können. Er mag leben.«
»Aber sein Eigentum nimmst du? Seine Waffen, seine Pferde, seine Frau und auch seine Kinder?«
»Fällt mir nicht ein! Ich bin kein Räuber. Er mag behalten, was er hat.«
»Uff, ich begreife dich nicht! Er hätte klüger gehandelt.«
Auch die andern Roten schienen ihn nicht zu begreifen. Die Blicke, welche sie auf ihn richteten, sagten deutlich, wie erstaunt sie über sein Verhalten waren. Keiner von ihnen hätte auf sein Recht verzichtet, und wenn hundert Menschenleben der Gegenstand desselben gewesen wären. Der »rote Fisch« schlich davon. Auch er konnte nicht begreifen, warum der Weiße ihn nicht erstach und skalpierte. Er schämte sich, besiegt zu sein, und hielt es für das beste, sich unsichtbar zu machen.
Aber einen Dank gab es doch. Die Frau trat zu dem Langen und reichte ihm die Hand; sie hob auch die Hände der Kinder zu ihm empor und stammelte einige halblaute Worte, deren Sinn Davy zwar nicht verstand, sich aber leicht denken konnte.
Jetzt näherte sich »Namboh-avaht«, der »große
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