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Saemtliche Werke von Karl May - Band 01

Saemtliche Werke von Karl May - Band 01

Titel: Saemtliche Werke von Karl May - Band 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Seite herbeigeschlichen; er trug eine Leiter, welche so an die Mauer gelehnt wurde, daß ihr oberes Ende an den Stock des einen Fensters zu liegen kam.
    Was beabsichtigten diese Menschen eigentlich? Man bricht doch nicht in eine erleuchtete Wohnung ein? Sollte vielleicht nur ein Scherz oder etwas Ähnliches beabsichtigt werden? Dann wäre es Thorheit gewesen, Lärm zu schlagen. Doch hielt der Deutsche die Augen scharf auf die beiden Männer gerichtet. Jetzt stieg der eine derselben empor, während der andre die Leiter hielt. Oben angekommen, sah er in das Zimmer, kam dann einige Sprossen herab und raunte dem Untenstehenden einige Worte zu. Es schien dem Kellner, als ob der Sprecher einen leise metallisch glänzenden Gegenstand in der Hand halte. Dann gab es ein zweimaliges Knacken, wie wenn die Hähne einer Doppelpistole aufgezogen werden. Nun wurde ihm himmelangst; er schlich schnell näher. Noch flüsterten die beiden miteinander. Sie konnten ihn nicht sehen, weil er sich tief an der Erde bewegte. Er hörte die Worte:
    »Er sitzt und liest.«
    »In welcher Lage?«
    »Die linke Seite dem Fenster zugekehrt.«
    »Ist sein Gesicht frei?«
    »Ja. Er hat die andre Seite des Kopfes in die Hand gelegt.«
    »Dann schieße ihn in die Schläfe; das ist die sicherste Stelle.«
    Also um einen Mord handelte es sich! Der Kellner erschrak so, daß er sich für einige Augenblicke nicht zu bewegen vermochte. Und da stieg der Kerl wieder aufwärts und richtete den Lauf der Pistole, welche er in der Rechten hielt, in das Zimmer. Das gab dem Lauscher seine Beweglichkeit zurück. Er schrie laut auf, sprang zur Leiter, warf den Untenstehenden zur Seite und stieß sie um, so daß der Obenstehende, welcher soeben abdrückte, gerade beim Krachen des Schusses jäh zum Sturze kam. Der Kellner warf sich auf ihn, um ihn festzuhalten.
    »Laß los, Hund, sonst erschieße ich dich!« knirschte der Mörder.
    Der Schuß ging los, und der Deutsche fühlte einen stechenden Ruck im linken Arme. Er war getroffen worden und konnte den Menschen nicht mehr halten, welcher aufsprang und schnell in der Dunkelheit verschwand. Der andre war schon vorher davongerannt.
    Die beiden Schüsse hatten die Bewohner des Hauses geweckt. Es begann in demselben lebendig zu werden. Zugleich wurde droben in dem erleuchteten Zimmer eines der Fenster geöffnet; der Doktor steckte den Kopf heraus und rief:
    »Welcher Mordbube schießt denn da nach mir! Warum läßt man mich nicht ruhig lesen?«
    Da erschrak der Kellner von neuem und antwortete:
    »O jerum, jerum! Sind denn Sie’s, Herr Doktor, welcher umgebracht hat werden sollen?«
    »Wer ist denn da unten? Diese Stimme kommt mir bekannt vor.«
    »Ick bin es, ick, Fritze Kiesewetter, Herr Doktor.«
    »Fritze Kiesewetter? Mir ist ein Individuum dieses Namens noch nicht vorgekommen.«
    »O doch! Heute, im Café de Paris haben Sie mir kennen jelernt. Sie wollten mir wegen die Sündflutsknochen engagieren.«
    »Ah, der Kellner! Aber, Mensch, wie kommen Sie denn auf die Idee, nach mir zu schießen?«
    »Als wie ick? Dat ist stark! Da hört nun oft und manchmal allens auf! Ick soll es jewesen sind, der jeschossen hat?«
    »Wer denn? Oder sind Sie nicht allein?«
    »Ick bin janz allein, nach Schiller die einzige fühlende Larve hier in dem Jarden.«
    »Wohnen Sie denn hier im Hause?«
    »Auch nicht.«
    »Aber was wollen Sie da denn hier?«
    »Ihnen retten. Und nun, da Sie mich dat Leben zu verdanken haben, halten Sie mir für den reinen Meuchelmord. Dat kränkt mir in die Seele!«
    Er sollte nicht von dem Doktor allein, sondern auch von noch andern verkannt werden. Die Hausbewohner kamen mit Lichtern und Laternen, mit allen möglichen Waffen in den Händen heraus, um den Missethäter zu ergreifen. Da half kein Bitten und Reden; Fritze Kiesewetter wurde festgenommen und hineingeschafft, wobei es nicht ohne einige kräftige Stöße abging, deren Spuren er noch später fühlte. Man wollte nach Polizei senden, um ihn abholen zu lassen, doch bat er, ihn doch erst ruhig anzuhören. Der Doktor unterstützte diese Bitte durch die Erklärung:
    »Der Mensch ist ein vorzugsweise denkendes Geschöpf; lassen Sie uns also denken, da wir Menschen sind. Ich habe diesem jungen Manne kein Leid gethan, ihn vielmehr in meinen Dienst nehmen wollen. Ist das ein Grund, mich zu erschießen? Nein. Auch hat er kein Mörder-, sondern ein ehrliches Gesicht. Und selbst wenn er ein Meuchler wäre, so ist das noch kein Grund, ihm das Sprechen zu verbieten. Ich

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