Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
vielen Pferde, welche wir jetzt haben, und an unser Gepäck. Wir müssen das letztere den ersteren zu tragen geben, haben also Packsättel anzufertigen.«
»Packsättel? Wir haben ja weder Leder noch sonstiges Material dazu?«
»Material ist genug vorhanden. Man muß sich nach den Umständen richten. Aus Zweigen, Laubwerk, Schilf und Gras lassen sich Sättel anfertigen, welche länger als drei Tage zu gebrauchen sind. Aus Schlingpflanzen, welche hier in Hülle und Fülle zu haben sind, drehen wir Seile, womit die Sättel befestigt und die Pferde aneinander gebunden werden. Haben wir auf diese Weise eine zusammenhängende Tropa gebildet, so geht der Ritt viel leichter und schneller von statten. Wir werden sofort an die Arbeit gehen.«
Der erfahrene Mann ließ junges Gezweig, Gras und Schilf sammeln, und bald waren alle Hände unter seiner Anleitung beschäftigt, die Pferde mit weichen Tragunterlagen und Halftern aus Schlinggewächsen zu versehen. Als die Tiere sich ausgeruht hatten, wurden sie beladen und so aneinander gebunden, daß sie eine zusammenhängende Tropa bildeten. Dann konnte der Aufbruch vor sich gehen. Es war gerade zur Mittagszeit, als man den Ort verließ, welcher einen so schlimmen Namen besaß und doch so vielen Schutz vor dem verderblichen Unwetter geboten hatte.
Das heutige Ziel war also der Palmensee, welcher in südwestlicher Richtung von der Ansiedelung der Niedermetzelung lag. Der »harte Schädel« ritt mit seinen vier Cambas als Führer voran; dann folgten die Pferde in einer langen Reihe, welche von den Reitern zu beiden Seiten in Ordnung gehalten wurden. Die Höhen, an denen man während der Nacht vorübergekommen war, blieben links liegen; die Gegend, durch welche man kam, konnte, obgleich man sich mitten im Chaco befand, als Campo bezeichnet werden. Sie war eben und offen. Nur hier oder da wurde der weiche Rasen von einer sandigen Stelle unterbrochen, bis man am Nachmittage wüstes Land betrat, welches, wie der Häuptling sagte, erst am Palmensee ein Ende nahm.
Der Vater Jaguar ritt heute hinter dem Zuge. Er hatte Anciano und dem Inka einen Wink gegeben, sich zu ihm zu halten. Als sie dann zu seinen beiden Seiten ritten, sagte er zu ersterem:
»Dein Mund wäre heut früh beinahe mitteilsamer geworden, als in deiner Absicht lag. Fast hättest du dein Geheimnis verraten.«
»Du meinst, daß ich ein Geheimnis habe? Welches könnte das sein?« fragte Anciano.
»Ich kenne es nicht, aber ich errate es. Haukaropora ist nicht dein Sohn und auch nicht ein Enkel von dir.«
»Wie kommen Sie auf diesen Gedanken, Señor? Sie haben ihn doch stets als meinen Enkel gekannt!«
»Du hast ihn als solchen bezeichnet; ich aber ahnte längst, daß euer Verhältnis ein andres sei. Du teiltest uns in deiner Aufregung mit, daß die Spange, von welcher der Lieutenant sprach, nicht von Eisen, sondern aus purem Golde sei. Es gibt noch andre Gegenstände, welche aus Eisen zu sein scheinen und doch aus Gold gefertigt sind.«
»Welche, Señor?«
»Zum Beispiel der Streitkolben, den Hauka hier an seiner Seite trägt.«
»Der soll aus Gold sein, Señor? Dann wären wir ja reiche Leute!«
»Pah! Verstelle dich nicht! Ich bin dein Freund, und ihr wißt, daß ihr von mir nichts zu befürchten habt. Ich mag nicht aufdringlich erscheinen; aber wenn ihr euer Geheimnis wahren wollt, so müßt ihr vorsichtiger sein. Hauka hat gestern den feindlichen Indianer mit dem Streitkolben niedergeschlagen. Die Waffe muß auf etwas Hartes oder Scharfes oder Spitziges getroffen sein, wodurch der dunkle, harzige Überzug beschädigt wurde. Die kleine Stelle glänzt goldig gelb. Seht einmal nach!«
Haukaropora nahm den Kolben zur Hand, betrachtete ihn und hing ihn dann errötend wieder an seine Stelle.
»Nun?« fragte der Vater Jaguar lächelnd. »Nicht wahr, er ist von Gold?«
Keiner von beiden antwortete. Sie wollten nicht ja sagen, aber auch nicht den Freund belügen. Dieser fuhr fort:
»Wißt ihr, wer ganz allein das Recht hatte, einen goldenen Streitkolben oder Humantschuay zu tragen? Ihr wißt es ebensogut wie ich; dennoch will ich es sagen: der Herrscher von Peru war es. Und dieser Streitkolben verrät mir, daß Hauka ein Abkömmling der Inkas ist.«
»Señor, Sie irren!« entfuhr es dem alten Anciano.
»Ich irre mich nicht. Gib dir keine Mühe, mich zu täuschen! Das Geheimnis ist bei mir ebenso sicher wie in deiner eigenen Brust bewahrt. Überhaupt habt ihr ja gar nicht nötig, ein Geheimnis aus der Abstammung
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