Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
wiederholt im Westen gewesen sei. Hat er Ihnen mitgeteilt, auf welche Weise er zu dieser Haut gekommen ist?«
»Ja. Er hat mit einem Indianer auf Leben und Tod gekämpft und ihn besiegt. Als Andenken an diesen schweren, lebensgefährlichen Kampf hat er den Skalp seines Feindes mitgenommen.«
»Wo hat dieser Kampf stattgefunden? Sagen Sie schnell, wo!« bat Anciano im Tone außerordentlicher Erregung.
»In der südlichen Pampa. Das war alles, was ich erfahren konnte.«
»Da unten? Da ist es freilich anders, als ich dachte.«
Er atmete bei diesen Worten hörbar und wie erleichtert auf. Sein Gesicht nahm wieder den Ausdruck der Gleichgültigkeit an, veränderte sich aber sofort wieder, als der Lieutenant bemerkte:
»Das Haar war wirklich prächtig, schöner noch als das Ihrige. Es wurde von einer Spange zusammengehalten, und der, welcher es getragen hat, muß ein sehr alter und wohl auch armer Mann gewesen sein.«
»Von einer Spange?« rief Anciano aus, indem er eine Bewegung der Überraschung machte. »Wie sah diese Spange aus? Und warum glauben Sie, daß der Mann arm gewesen ist?«
»Weil sie von Eisen war, während ein wohlhabender Mann doch, wenn er sich solcher Zieraten bedient, solche von wertvollerem Metalle wählt. Die Spange hatte an ihrer vorderen Seite die Form einer Sonne mit zwölf Strahlen.«
»Zwölf Strahlen!« schrie Anciano förmlich, indem er aufsprang. »Señor, diese Spange war nicht aus Eisen, sondern vom reinsten Golde. Der Besitzer hatte sie aber künstlich geschwärzt, um nicht die Habsucht andrer zu erwecken.«
»Woher wissen Sie das? Haben Sie den Mann gekannt, welchem dieser Schmuck gehörte?«
»Ob ich ihn gekannt habe! Er war mein Gebieter, ein Herrscher über – –«
Er war im höchsten Grade erregt. Seine Augen blitzten; er hatte sein Messer aus dem Gürtel gerissen und machte mit demselben Bewegungen, als ob er einen vor ihm stehenden Feind erstechen wolle. Er hätte noch mehr gesagt, vielleicht sein ganzes Geheimnis verraten; aber Haukaropora war auch aufgesprungen, legte ihm die Hand auf den Arm und unterbrach ihn in warnendem Tone:
»Still, mein Vater! Der Mann war ein Indianer, weiter nichts; aber dennoch müssen wir erfahren, ob er in rechtlichem Kampfe getötet worden ist. Wenn nicht, dann wehe seinem Mörder! Er war trotz seines Alters so stark und tapfer, daß er niemals überwunden wurde. Soll ich da glauben, daß er von diesem Antonio Perillo besiegt worden ist? Nein und abermals nein! Er ist ermordet worden.«
»Ganz gewiß, ganz gewiß!« stimmte der Alte bei. »Wir brauchen nach dem Mörder nicht zu forschen; Perillo hat zugegeben, daß er selbst ihn getötet hat. Wir wissen, daß er hinter uns herkommt; er wird in meine Hände fallen, und dann soll er uns Rede und Antwort geben!«
»Ja, reden soll er, und die Antwort gebe ich ihm mit diesem da!«
Der Inka schwang seinen Streitkolben, auf den sich seine Worte bezogen, um den Kopf. Er war fast noch mehr erregt, als sein Anciano, beherrschte sich aber schnell, als er sah, daß die Anwesenden ihn erstaunt anblickten, nahm eine gleichgültige Miene an, setzte sich wieder nieder und legte den Kolben neben sich hin.
Aber nicht nur diese beiden waren von der Mitteilung des Lieutenants so tief berührt worden; es gab einen dritten, welcher ihr eine ebenso große, wenn auch ruhigere Aufmerksamkeit schenkte. Dieser dritte war der Vater Jaguar. Von da an, wo der Skalp erwähnt wurde, bis zum letzten Augenblicke hatte er die Reden mit der größten Spannung verfolgt. Er saß neben dem Inka und griff jetzt nach dem Streitkolben, um denselben zu betrachten. Die Waffe war schwarz, wie von einem dunkeln Firnis überzogen. Er besah sie sehr genau, legte sie dann wieder hin, ohne eine Miene zu verziehen, und sagte:
»Ich halte es nicht für notwendig, sich jetzt über den Skalp zu ereifern. Noch wißt Ihr nicht, ob es wirklich die Kopfhaut Eures Bekannten ist. Wir werden es erst später genau erfahren.«
»Nein, ich weiß es sicher,« antwortete Anciano; »die Spange ist der Beweis, daß ich mich nicht irre.«
»Dennoch haben wir jetzt Notwendigeres zu besprechen,« entgegnete Hammer, indem er dem Alten einen verstohlenen Wink gab, zu schweigen. »Es gilt, zu beraten, wohin wir uns von hier aus wenden sollen.«
»Doch jedenfalls nach dem Palmensee,« antwortete der Lieutenant Verano. »Das war ja schon vorher Ihr Ziel und muß es nun erst recht bleiben, da die Verschwörer dort zusammen kommen wollen.«
»Ich glaube
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