Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
gefesselt,« antwortete Rollins.
»Das ist schlimm, sehr schlimm, denn da vergeht eine kostbare Zeit, weil ich zu euch hinunter muß.«
Er kam zu ihnen hernieder, betastete ihre Fesseln und schnitt dieselben durch. Sie standen auf und dehnten ihre Glieder, um das stockende Blut wieder in Umlauf zu bringen. Dabei erkundigte sich Rollins:
»Das werde ich Euch nie vergessen, Sir! Aber sagt mir doch einmal wie es Euch gelungen ist, hier – – –«
»Pst, still!« fiel ihm der Oelprinz in die Rede. »Davon später. Jetzt haben wir keine Zeit. Es gilt, schnell fortzukommen, da jeden Augenblick jemand nach euch sehen kann; dann wären wir verloren. Kommt also schnell herauf! Aber richtet euch nicht etwa in die Höhe, denn da würdet ihr sofort gesehen. Wir müssen uns kriechend entfernen.«
Er stieg empor, und sie folgten ihm. Oben legten sie sich glatt auf das Dach nieder.
»Schaut hinauf!« flüsterte er ihnen zu. »Seht ihr die Wächter?«
Sie sahen im hellen Sternenscheine Indianer auf den oberen Terrassen stehen. In ihrer Unerfahrenheit fiel es ihnen gar nicht auf, daß grad hier unten bei ihnen, wo ein Posten doch am notwendigsten gewesen wäre, keiner stand. Und noch viel weniger kamen sie auf den Gedanken, daß sie von den Wächtern da oben recht gut gesehen wurden und das Gebaren des Oelprinzen nichts war als die reine Spiegelfechterei. Er ließ das Loch offen und die Leiter in demselben stecken und raunte ihnen zu:
»Folgt mir ganz leise bis hin zum Rande, wo ich eine Leiter angelegt habe. Wenn wir nicht gesehen werden und erst unten sind, dann haben wir nichts mehr zu fürchten.«
Sie krochen nach der Kante der ersten Terrasse und sahen dort die Leiter lehnen. Auch das fiel ihnen nicht auf. Sie stiegen einer nach dem andern hinunter und befanden sich nun außerhalb des Pueblo.
»Endlich, endlich!« sagte da der Oelprinz. »Es ist gelungen. Nun schnell fort von hier!«
»Noch nicht, Mr. Grinley,« sagte der gewissenhafte Buchhalter. »Unsre Gefährten sind doch jedenfalls auch gefangen?«
»Allerdings.«
»Wollen wir sie stecken lassen? Wir haben wohl die Pflicht, ihnen – – –«
»Unsinn!« fiel ihm der andre in die Rede. »Was fällt Euch ein! Der Häuptling hat gelogen. Seine Krieger sind nicht auf der Jagd, sondern hier. Was können wir drei gegen sechzig bis siebzig wohlbewaffnete Indianer thun? Wir würden ins sichere Verderben rennen. Seid froh, daß ich euch herausgeholt habe! Jedes längere Verweilen muß uns Verderben bringen.«
»Das mag richtig sein; aber es thut mir doch leid um die, welche wir nicht retten können.«
»O, die werden schon selbst für sich sorgen. Es sind ja tüchtige Kerls dabei, welche gewiß einen Ausweg finden werden.«
»Das beruhigt mich. Aber wie kommen wir fort? Man wird uns wahrscheinlich verfolgen. Ja, wenn wir unsre Pferde und Waffen hätten! Auch unser Gepäck wird uns fehlen.«
»Es ist alles da; ich habe alles gerettet!«
»Was? Wie? Das ist ja ganz unmöglich!«
»O, ein mutiger Mann macht seinen Freunden zuliebe selbst das Unmögliche möglich. Ich allein freilich hätte es nicht fertig gebracht; ich habe Hilfe und Unterstützung gefunden.«
»Bei wem?«
»Bei zwei wackern Gentlemen, zu denen ich euch führen werde. Kommt also rasch; wir dürfen keinen Augenblick mehr hier verweilen.«
Er führte sie an der Außenmauer des Pueblo hin und dann nach dem Trümmergewirr, in welchem heut die Indianer gesteckt hatten. Dort trafen sie auf Buttler und Poller und fanden bei denselben nicht nur ihre Pferde und Waffen, sondern auch ihr ganzes sonstiges Eigentum. Darüber waren sie denn doch erstaunt; ihre Fragen aber wies der Oelprinz mit den Worten zurück:
»Jetzt müssen wir augenblicklich fort, denn man wird, wie ihr selbst ganz richtig vermutet habt, uns verfolgen, und da ist es notwendig, einen möglichst großen Vorsprung zu erlangen. Unterwegs sollt ihr erfahren, wie sich alles zugetragen hat.«
Er hatte sich eine glaubhafte Erzählung zurechtgelegt und war überzeugt, daß dieselbe die gewünschte Aufnahme finden werde. Sie stiegen auf und jagten im Galopp von dannen. Der Bankier war von Dank gegen seine Retter erfüllt; ihn kümmerten die Zurückgelassenen nicht; Baumgarten aber konnte sich des Gedankens doch nicht erwehren, daß es eigentlich ihre Pflicht gewesen wäre, die Befreiung ihrer Gefährten wenigstens zu versuchen.
Diese letzteren befanden sich in einer Lage, welche zwar jedenfalls ernst war, aber doch auch ihre komische Seite
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