Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
oft feiner, als ich selber bin.«
»Aber so eene Menge, so eene Menge!« rief sie, noch immer ganz fassungslos. »Ich hab’ freilich schon gehört, daß das Petroleum in Amerika aus der Erde geloofen kommt, hab’s aber nich gegloobt. Nu aber liegt’s vor meinen eegenen und leibhaftigen Oogen. Ich bleibe hier; ich bleibe hier; mich bringt keen Mensch von dieser Schtelle fort.«
»So? Was wollen Sie denn da?«
»Ich fange eenen Petroleumhandel an. Da is ja een Geschäft zu machen, wie es gar nich größer sein kann. Hier kostet das Oel nich eenen Pfennig und drüben in Sachsen muß man fürs Liter beinahe zwee Groschen bezahlen. Es bleibt dabei: ich laß mich hier nieder und handle mit Petroleum!«
Sie schlug die Hände sehr energisch zusammen, ein Zeichen, daß dieser Entschluß ein unerschütterlicher sei. Frank antwortete lachend:
»Schön! Setzen Sie sich immer in den Besitz dieser schönen Gegend! Aber gleich schon am erschten Tage kommen die Indianer und roofen Ihnen die Haare alle eenzeln aus. Denken Sie denn, Sie können sich hier so gemütlich niederlassen wie derheeme off den Großvaterschtuhl oder off die Ofenbank? Handeln wollen Sie? Wer kooft Ihnen hier was ab? Wovon leben Sie? Und wonach riechen Sie? Wenn Sie nur drei Tage lang hier sitzen bleiben, hat Ihre ganze komparative Persönlichkeet eenen Duft angenommen, den Sie mit dem ganzen transatlantischen Ozean nich nunterwaschen können.«
Diese Warnung hatte den Erfolg, daß Frau Rosalie ein bedenkliches Gesicht machte und sich ihrem Manne zuwandte, um dessen Meinung zu hören. Die andern hatten sich indessen von ihrem Staunen erholt; sie knieten am Ufer, untersuchten das Oel und teilten sich in lauten Ausrufen ihre Bemerkungen mit. Am ruhigsten waren selbstverständlich Winnetou und Old Shatterhand. Sie hatten sich von den andern entfernt, um einen Gang um den See zu machen und die Ufer desselben genauer abzusuchen, als es vorher von dem Apachen hatte geschehen können.
Derjenige, auf welchen diese Petroleummasse den größten Eindruck machte, war der Kantor. Die andern waren schon längst von ihrem Staunen zurückgekommen, da stand er noch immer da und starrte mit weitgeöffneten Augen und ebenso offenstehendem Munde auf das Wasser. Als der Hobble-Frank dies bemerkte, trat er zu ihm, gab ihm einen Klaps auf den Rücken und sagte:
»Ihnen is wohl der ganze menschliche Verschtand schtehen geblieben? Fassen Sie sich! Nehmen Sie sich zusammen und erinnern Sie sich daran, daß so een See voll Kaffee viel besser schmecken würde, als seine jetzigen Inhaltsbeschtandteele! Wahrhaftig, Sie scheinen Ihre ganze Mutterschprache verloren zu haben! Wenn Sie nich reden können, so versuchen Sie wenigstens, einige Töne zu singen, Herr Kantor!«
Da kehrte dem musikalischen Herrn die Sprachfähigkeit zurück. Er holte tief, tief Atem und antwortete:
»Kantor emeritus, wenn ich bitten darf, Herr Franke! Ich fühle mich ganz grandios berührt. Es ist ein ganz unbeschreiblicher Anblick. Mich überkommt ein Gedanke, ein Gedanke, ebenso grandios und unbeschreiblich wie dieser See, sage ich Ihnen.«
»Welcher Gedanke, Herr Emeritikus?«
»Emeritus, lieber Freund. Sie haben eine Silbe zu viel.«
»Wie? Was? Eene Silbe hätte ich zu viel? Eene ganze Silbe? Wer Ihnen das weiß gemacht hat, der hat das A-B-C noch nich im Koppe. Ehe ich eene Silbe zu viel ausschpreche, gehn eher Sonne, Mond und Schterne zu Grunde. Ich habe mein Silbenmaß schtets bei mir; es is mir angeboren. Ich mach’s ganz so wie die Pflaumenhändler: ich laß eher eene weg, als daß ich eene zu viel gebe; darauf können Sie sich verlassen. Das wollte ich nur so nebenbei bemerkt haben. Die Hauptsache war der grandezziose Gedanke, der Ihnen gekommen is. Darf ich den erfahren?«
»Ja, Ihnen will ich ihn mitteilen, vorausgesetzt, daß Sie es nicht ausplaudern.«
»O, was das betrifft, so dürfen Sie meiner größten und verschwiegensten Dislokation versichert sein. Is dieser Gedanke so een großes Geheimnis?«
»Außerordentlich! Wenn ein andrer Komponist ihn erführe, er würde ihn sofort für sich verarbeiten. Sie wissen doch von meiner Heldenoper? Was?«
»Ja – – zwölf Akte.«
»So ist es. Und wissen Sie, was ich in dieser Oper bringen werde?«
»Natürlich weeß ich das.«
»Nun, was?«
»Musik werden Sie bringen.«
»Natürlich! Das ist ja selbstverständlich. Ich meine in Beziehung auf den Inhalt dieser Musik und auch betreffs der Scenerie, der Ausstattung.«
»Da muß ich
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