Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
wollen!«
»Wer trägt daran die Schuld? Winnetou und Old Shatterhand, denen ich das nie und nimmer vergessen werde!«
Der Alte war also der ›schwarze Mustang‹ und der Indianer, welcher bei ihm saß, einer seiner Unglücksgefährten. Es war ein diabolischer, unbeschreiblich häßlicher Ausdruck, der über das Gesicht des Häuptlings ging, als er hierauf antwortete:
»Er muß uns in die Hände fallen, denn wir wissen, wohin er will, und werden ihm den Weg verlegen, diesem weißen Schakal, der sich Old Shatterhand nennt und der noch mehr Schuld an unserm Unglück trägt als Winnetou, der Schakal der Apatschen. Wehe ihnen, wenn wir sie dann haben!«
»Hältst du es wirklich für so gewiß, daß wir sie fangen werden?«
»Ja.«
»Du wirst mir erlauben müssen, daran zu zweifeln.«
»Warum?«
»Wir mußten gehen; sie aber besitzen schnelle Pferde.«
»Aber unser Weg führte so gerade über die Berge wie ein ausgespannter Lasso, während sie ihrer Pferde wegen viele Bogen reiten und lange Umwege machen müssen. Der ›schwarze Mustang‹ kennt alle Berge und Thäler dieser Gegend; er hat genau den Weg berechnet, den er mit seinen Komantschen machen mußte und auch den, auf welchem die Feinde kommen werden. Wir haben einen Vorsprung vor ihnen, und wenn Ik Senanda zurückkehrt und alles mitbringt, was wir brauchen, müssen der Apatsche und die fünf weißen Koyoten, auf welche wir warten, in unsre Hände fallen.«
»Ob er aber alles bringen wird?«
»Ja.«
»Pferde, Pulver, Blei, Flinten, Messer, Kleider und Fleisch?«
»Er wird!«
»Wenn sie im Lager erfahren, was geschehen ist, werden sie ihm nicht nur nichts geben, sondern uns ausstoßen.«
»Uff! Glaubst du, daß er so dumm sein wird, etwas zu sagen? Obgleich dies gar nicht nötig war, habe ich es ihm verboten, etwas zu erzählen. Er weiß, wo wir in diesen Tagen lagern, und da er gestern nicht eingetroffen ist, muß er heute kommen.«
»Der große Geist gebe, daß er kommt und Fleisch mitbringt! Ik Senanda hat uns seine Flinte und sein Messer zurückgelassen, die einzigen Waffen, welche wir haben, über hundert Krieger, welche essen wollen!«
»Darf ein Krieger über Hunger klagen?« verwies ihm der Häuptling seine Worte.
»Niemand hört es als nur du, und du hungerst auch. Ich fürchte keinen roten oder weißen Feind, keinen wilden Büffel und keinen Bär, aber der Hunger ist ein Feind, der im Leibe steckt; mit ihm kann man nicht kämpfen; gegen ihn hilft weder List noch Tapferkeit, er raubt dem Mutigsten das Leben, ohne daß man es ihm verhindern kann. Darum ist es keine Schande, von ihm zu sprechen und über ihn zu klagen.«
»Du hast recht,« stimmte der Häuptling bei. »Er wohnt auch in meinem Leibe und zerfrißt mir die Eingeweide. Du sagtest, daß du dich vor keinem Feinde fürchtest; auch ich habe bis vor kurzem jeden Gegner besiegt, da aber kam ein Feind, der mich überwand, und darum müssen wir Hunger leiden.«
»Wer ist es?«
»Er wohnt, wie der Hunger, auch in meinem Innern; es ist der Zorn, den ich gegen Old Shatterhand hegte und nicht besiegen konnte.«
»Uff, uff!« stimmte der andre bei. Er fügte kein Wort hinzu, aber in dem Tone, in welchem er diesen Ausruf zweimal hören ließ, lag alles, was er sagen wollte.
»Ja, dieser Zorn war der Feind, der mich überwand,« fuhr der Häuptling fort. Bei dem ungeheuern Stolze, den er sonst besaß, war es nur dem Hunger möglich, ihn zu dieser Selbstanklage zu bringen. »Hätte ich Old Shatterhand nicht verhöhnt, hätte ich geschwiegen und still die spätere Rache erwartet, so hätte uns dieses Bleichgesicht die Pferde und die Waffen und auch die Medizinen gelassen; wir hätten heimlich in der Nähe von Firwood-Camp bleiben, auf die Feinde warten können; sie befänden sich jetzt schon in unsern Händen!«
»Da hast du die Wahrheit gesagt. So aber sitzen wir hier und hungern. Wir sind aus dem Lager gegangen, um Fleisch zu holen, haben aber nichts geschossen oder gefangen und nur einen Kürbis gefunden, den wir gegessen haben. Wenn die andern im Schlingenlegen auch so unglücklich gewesen sind wie wir, so wird uns der Hunger bald verzehren. Wie viel Pulver hast du noch?«
»Für höchstens zehn Schüsse.«
»So mag Ik Senanda ja heut kommen, sonst sterben wir an dem Feinde, der in unserm Innern wohnt, denn es ist – uff!«
Er unterbrach sich selbst und ließ diesen Ausruf nicht laut, sondern mit unterdrückter Stimme hören.
»Was ist’s?« fragte Tokvi-Kava.
»Schau
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