Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
dieser Gegend keine Feinde, gegen welche du kämpfen müßtest.«
»Gerade darum braucht auch Tokvi-Kava die Flinte nicht; der Geruch des Fleisches aber zieht Geier und Koyoten an, deren ich mich erwehren muß.«
»Da hat mein Bruder recht; er mag also das Gewehr hier behalten.«
Er gab es ihm und die Munition und entfernte sich dann, nachdem er noch einen hungrigen, lüsternen Blick auf die drei Tiere geworfen hatte, von denen der Büffel allein weit über zweitausend Pfund wiegen mochte. Wer es nicht selbst gesehen hat, der glaubt es gar nicht, welche ungeheure Menge Fleisch solch ein ausgewachsener Bison aufweist!
Sein Weg führte ihn am Bache abwärts. Er ging rasch und ohne jede Vorsicht in Anwendung zu bringen, welche im wilden Westen fast zu jeder Zeit erforderlich ist. Tokvi-Kava mußte also fest überzeugt sein, daß sich kein feindliches menschliches Wesen in der Nähe befand.
Er war mit dem Gefährten im Thale aufwärts gegangen und kehrte nun abwärts nach dem Lager zurück, welches sich im Ausgange des Thales befand. Er hatte ungefähr zwei englische Meilen zurückzulegen, und so dauerte es ziemlich lange, ehe er es erreichte.
Da lagen dieselben Komantschen, welche Firwood-Camp in so schimpflicher Weise hatten verlassen müssen und ebenso abgerissen und ausgehungert aussahen wie er selbst. So viele ihrer da waren, von doppelt so viel Augen wurde er mit verlangenden Blicken empfangen; sie hatten alle, alle Hunger. Er bemerkte auch diejenigen, welche vorhin fortgegangen waren, um nach den Schlingen zu sehen, in denen man irgend ein Wild zu fangen beabsichtigte. Er brauchte gar nicht nach dem Ergebnisse zu fragen, denn er sah, daß sie nichts mitgebracht hatten. Dagegen war der Umstand, daß er allein und ohne das Gewehr kam, für sie ein Zeichen, daß er, wenn nicht ein Unglück geschehen war, bei dem er den Gefährten und die Flinte verloren hatte, eine gute Jagd gehabt haben mußte. Sie sprangen also auf, und er hatte, ganz der indianischen Zurückhaltung entgegen, die begierige Frage zu hören:
»Hat Tokvi-Kava etwas geschossen? Hat er Fleisch gemacht?«
»Ja,« antwortete er. »Der Hunger hat ein Ende. Ich habe einen Büffel und eine Kuh erlegt und ein Kalb dazu.«
Da wurden hundert Freudenrufe laut, und es gab eine Aufregung, welche die Roten so ganz in Anspruch nahm, daß sie den Reiter, welcher sich dem Lager von der andern Seite näherte, nicht eher sahen, als bis er sie fast erreicht hatte. Es war Ik Senanda, der Enkel des Häuptlings, welcher nach den Weidegründen der Komantschen geschickt worden war, um für die Befriedigung der vorhin aufgezählten Bedürfnisse zu sorgen, ohne aber dort ein Wort darüber verlauten zu lassen, daß der Ritt nach dem Firwood-Camp ein so klägliches und entehrendes Ende gefunden hatte.
Diese Sendung des Mestizen war der einzige Ausweg für den Häuptling gewesen, den er einschlagen konnte, den Seinen die erlittene Schande einigermaßen verbergen und sich als Anführer behaupten zu können. In seiner jetzigen Verfassung durfte er sich dort keineswegs sehen lassen; hatte er aber wieder Pferde und Waffen, so konnte er Winnetou und Old Shatterhand samt ihren Begleitern gefangen nehmen, was ihm große Ehre eintrug; unternahm er dann noch schnell einen glücklichen Zug gegen irgendwelche Feinde, mochten das nun Weiße oder die nächstlagernden Apatschen sein, um sich deren Skalpe und Medizinen zu holen, so konnte die fürchterliche Schlappe, welche er erlitten hatte, vergessen werden und alle seine jetzigen Sorgen und Befürchtungen waren gehoben. Es kam also alles auf den Erfolg an, welchen die Sendung seines Enkels hatte, und es läßt sich also denken, mit welcher Sehnsucht und Spannung er der Rückkehr desselben entgegensah.
Diese Spannung sollte nun jetzt gehoben werden; aber sie wurde das auf eine Weise, die für ihn so schlimm war, daß er es immer von sich gewiesen hatte, an ihre Möglichkeit zu denken. Falls es Ik Senanda gelang, seinen Auftrag mit Erfolg auszuführen, mußte er mit über hundert Pferden und Gewehren kommen und auch Kleidung und Munition für alle mitbringen; in diesem Falle hätte ihn natürlich eine Anzahl andrer Komantschen hierher zu begleiten gehabt, weil ein Einzelner hundert Pferde nicht zu transportieren vermag. Nun aber kam er allein, ganz allein, und führte nur ein einziges Packpferd neben sich am Zügel.
Als das Tokvi-Kava sah, entfärbte er sich so, daß seine rote, verwitterte Haut grau wie Löschpapier wurde, und die
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