Sämtliche Werke
grobgestrickten Strümpfe fast bis zum Knie. Ungeduldig über die lange Dauer des Kämmens, fuhr Brunelda mit der dicken, roten Zunge zwischen den Lippen hin und her, manchmal riß sie sich sogar mit dem Ausruf: »Aber Delamarche!« gänzlich von Delamarche los, der mit erhobenem Kamm ruhig wartete, bis sie den Kopf wieder zurücklegte.
»Es hat lange gedauert«, sagte Brunelda im allgemeinen, und zu Karl insbesondere sagte sie: »Du mußt ein wenig flinker sein, wenn du willst, daß man mit dir zufrieden ist. An dem faulen und gefräßigen Robinson darfst du dir kein Beispiel nehmen. Ihr habt wohl schon inzwischen irgendwo gefrühstückt; ich sage euch, nächstens dulde ich das nicht.«
Das war sehr ungerecht, und Robinson schüttelte auch den Kopf und bewegte, allerdings lautlos, die Lippen, Karl jedoch sah ein, daß man auf die Herrschaft nur dadurch einwirken könne, daß man ihr zweifellos Arbeit zeige. Er zog daher ein niedriges japanisches Tischchen aus einem Winkel, überdeckte es mit einem Tuch und stellte die mitgebrachten Sachen auf. Wer den Ursprung des Frühstücks gesehen hatte, konnte mit dem Ganzen zufrieden sein, sonst aber war, wie sich Karl sagen mußte, manches daran auszusetzen.
Glücklicherweise hatte Brunelda Hunger. Wohlgefällig nickte sie Karl zu, während er alles vorbereitete, und öfters hinderte sie ihn, indem sie vorzeitig mit ihrer weichen, fetten, womöglich gleich alles zerdrückenden Hand irgendeinen Bissen für sich hervorholte. »Er hat es gut gemacht«, sagte sie schmatzend und zog Delamarche, der den Kamm in ihrem Haar für die spätere Arbeit steckenließ, neben sich auf einen Sessel nieder. Auch Delamarche wurde beim Anblick des Essens freundlich, beide waren sehr hungrig, ihre Hände eilten kreuz und quer über das Tischchen. Karl erkannte, daß man hier, um zu befriedigen, nur immer möglichst viel bringen mußte, und in Erinnerung daran, daß er in der Küche noch verschiedene brauchbare Eßware auf dem Boden liegengelassen hatte, sagte er: »Beim ersten Mal habe ich nicht gewußt, wie alles angerichtet werden soll, nächstes Mal werde ich es besser machen.« Aber noch während des Redens erinnerte er sich, zu wem er sprach, er war zu sehr von der Sache selbst befangen gewesen. Brunelda nickte Delamarche befriedigt zu und reichte Karl zum Lohn eine Handvoll Keks.
II Ausreise Bruneldas
Eines Morgens schob Karl den Krankenwagen, in dem Brunelda saß, aus dem Haustor. Es war nicht mehr so früh, wie er gehofft hatte. Sie waren übereingekommen, die Auswanderung noch in der Nacht zu bewerkstelligen, um in den Gassen kein Aufsehen zu erregen, das bei Tag unvermeidlich gewesen wäre, so bescheiden auch Brunelda mit einem großen grauen Tuch sich bedecken wollte. Aber der Transport über die Treppe hatte zu lange gedauert, trotz der bereitwilligsten Mithilfe des Studenten, der viel schwächer als Karl war, wie sich bei dieser Gelegenheit herausstellte. Brunelda hielt sich sehr tapfer, seufzte kaum und suchte ihren Trägern die Arbeit auf alle Weise zu erleichtern. Aber es ging doch nicht anders, als daß man sie auf jeder fünften Treppenstufe niedersetzte, um sich selbst und ihr die Zeit zum notwendigen Ausruhen zu gönnen. Es war ein kühler Morgen, auf den Gängen wehte kalte Luft wie in den Kellern, aber Karl und der Student waren ganz in Schweiß und mußten während der Ruhepausen jeder ein Zipfel von Bruneldas Tuch, das sie ihnen übrigens freundlich reichte, nehmen, um das Gesicht zu trocknen. So kam es, daß sie erst nach zwei Stunden unten anlangten, wo schon vom Abend her das Wägelchen stand. Das Hineinheben Bruneldas gab noch eine gewisse Arbeit, dann aber durfte man das Ganze für gelungen ansehen, denn das Schieben des Wagens mußte dank den hohen Rädern nicht schwer sein, und es blieb nur die Befürchtung, daß der Wagen unter Brunelda aus den Fugen gehen würde. Diese Gefahr mußte man allerdings auf sich nehmen, man konnte nicht einen Ersatzwagen mitführen, zu dessen Bereitstellung und Führung der Student halb im Scherz sich angeboten hatte. Es erfolgte nun die Verabschiedung vom Studenten, die sogar sehr herzlich war. Alle Nichtübereinstimmung zwischen Brunelda und dem Studenten schien vergessen, er entschuldigte sich sogar wegen der alten Beleidigung Bruneldas, die er sich bei ihrer Krankheit hatte zuschulden kommen lassen, aber Brunelda sagte, alles sei längst vergessen und mehr als gutgemacht. Schließlich bat sie den Studenten, er möge zum
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