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SÄURE

SÄURE

Titel: SÄURE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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und wenn ich schwieg, um zu horchen, verstummten die Geräusche. Da die Mutter sich nicht dazu äußerte, habe auch ich nichts gesagt. Ich war froh, überhaupt bis zu ihr vorgedrungen zu sein.«
    Ich sagte: »Dir Bericht hört sich an wie ein Schauerroman.«
    »Ja, genauso war es, schaurig. Nicht, daß die Mutter unheimlich gewirkt hätte, sie war sehr nett, sie machte eher einen verletzlichen Eindruck.«
    »Die typische viktorianische Prinzessin«, sagte ich, »sie verläßt das Haus prinzipiell nicht?«
    »So hat sie sich ausgedrückt. Sie gab zu, daß sie sich dessen sehr schämte. Und als ich ihr vorschlug, sie solle doch zu mir in die Praxis kommen, wurde sie sofort nervös. Ihre Hände fingen richtig an zu zittern. Also nahm ich davon Abstand, aber sie war einverstanden, Melissa von einem Psychologen untersuchen zu lassen.«
    »Seltsam.«
    »Für solche Seltsamkeiten sind Sie doch da, oder?«
    Ich lächelte.
    Sie sagte: »Habe ich Ihre Neugier geweckt?«
    »Meinen Sie, daß die Mutter wirklich möchte, daß jemand dem Mädchen hilft?«
    »Dem Mädchen? Ja, das hat sie gesagt. Aber wichtiger noch ist die Motivation des Kindes, die Kleine hat ja selbst im Krankenhaus angerufen!«
    »Sieben Jahre alt und hat selbst angerufen?«
    »Der Volontär vom Bereitschaftsdienst konnte es kaum glauben. Von Zeit zu Zeit meldet sich auf seiner Station höchstens mal ein Teenager, den sie dann an die Abteilung für Jugendliche weiterleiten. Aber Melissa hat wohl nach einem ihrer Spots im Fernsehen die Nummer aufgeschrieben und ziemlich spät abends, kurz nach 22 Uhr, angerufen.«
    Sie hob ihre Reisetasche hoch, öffnete ein Fach und zog eine Kassette heraus.
    »Ich weiß, es klingt seltsam, aber ich habe hier den Beweis. Beim Bereitschaftsdienst werden alle Anrufe aufgezeichnet. Ich habe mir eine Kopie machen lassen.«
    Ich sagte: »Sie muß ziemlich frühreif sein.«
    »Ja, es scheint so. Ich wollte, ich könnte mich intensiver mit ihr beschäftigen.« Sie schwieg einen Augenblick. »Wie schmerzhaft das alles für sie sein muß. Jedenfalls, nachdem ich mir das Band angehört hatte, rief ich die Telefonnummer an, die sie genannt hatte, und bekam die Mutter an den Apparat. Sie hatte keine Ahnung von Melissas Anruf. Als ich ihr davon erzählte, bekam sie einen Nervenzusammenbruch und fing an zu weinen. Und als ich sie bat, zu mir in die Praxis zu kommen, sagte sie, sie sei krank. Ich dachte sofort an irgendein körperliches Leiden und bot ihr meinen Besuch an. So kam es zu meiner Visite in diesem schaurigen Haus.«
    Sie reichte mir das Tonband. »Wenn Sie möchten, können Sie es behalten und es sich anhören. Es ist wirklich ziemlich ungewöhnlich. Ich habe der Mutter gesagt, ich würde mit einem Psychologen reden, und habe mir erlaubt, Ihren Namen zu erwähnen. Aber das verpflichtet Sie natürlich zu nichts.«
    Ich nahm die Kassette entgegen. »Danke, daß Sie an mich gedacht haben, aber ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich Hausbesuche in San Labrador machen kann.«
    »Kein Problem. Melissa kann zu Ihnen kommen. Einer von den Dienstboten wird sie bringen.«
    Ich schüttelte den Kopf. »In so einem Fall sollte aber auch die Mutter aktiv miteinbezogen werden.«
    Sie runzelte die Stirn. »Ich weiß, es ist nicht optimal. Aber kennen Sie nicht irgendwelche Methoden, mit denen Sie dem Mädchen helfen können, ohne daß die Mutter dabei ist? Damit sie wenigstens ein bißchen von ihrer Angst los wird? Das wäre wirklich sehr verdienstvoll.«
    »Vielleicht«, sagte ich, »wenn die Mutter die Therapie nicht sabotiert.«
    »Ich glaube nicht, daß sie das tun wird. Sie ist ein Nervenbündel, aber es scheint ihr wirklich viel an der Kleinen zu liegen. Das schlechte Gewissen hilft uns in diesem Fall - stellen Sie sich doch nur mal vor, wie unzulänglich sie sich vorkommen muß, wenn ihre siebenjährige Tochter selbst im Krankenhaus anruft. Sie weiß, daß sie als Mutter versagt, kann aber aus ihrer Pathologie nicht heraus. Sie muß furchtbar darunter leiden. Ich habe das Gefühl, es ist jetzt der richtige Augenblick. Wenn sich der Zustand ihrer Tochter bessert, läßt sie sich vielleicht auch behandeln.«
    »Gibt es auch einen Vater?«
    »Nein, sie ist Witwe. Ihr Mann starb an Herzversagen, als Melissa noch ein Baby war. Ich glaube, er war sehr viel älter als sie.«
    »Das klingt, als ob Sie bei Ihrem kurzen Besuch eine Menge herausbekommen haben.«
    Ihre Wangen röteten sich. »Man versucht sein Bestes. Also, ich erwarte von Ihnen

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