Pausen tun uns gar nicht gut
Einleitung:
„So was Verrücktes kann nur
euch einfallen“, oder „warum wandert ihr nicht im Thüringer Wald?“ Das waren
Äußerungen aus dem Familien- und Bekanntenkreis, als sie erfuhren, dass wir den
Jakobsweg in Spanien gehen wollten.
Für uns war diese seit Jahren
geträumte Pilgerreise auf dem so genannten französischen Weg die Erfüllung
einer Sehnsucht nach Weite, nach Freiheit, einmal dem Alltag entfliehen, die
Chance, den bisherigen Weg zu überdenken, die Möglichkeit zu haben, an seine
körperlichen Grenzen zu gehen.
Also ging es am 25.5.2009 los,
den Rucksack auf dem Rücken, der hoffentlich in diesen fünf Wochen nicht zu
schwer werden würde, den Kopf voller Erwartungen.
Vom Flughafen Hamburg sollte es in Richtung Toulouse, später mit der Bahn ins
französische Bayonne gehen. Schon an diesem Tag trafen wir
unseren ersten Engel, der in Gestalt eines sehr gut französisch sprechenden
deutschen Studenten nach Bordeaux reiste. Er half uns, denn eine
fünfstündige Flugverspätung brachte unsere Reisepläne gehörig durcheinander.
Mit seiner Hilfe kamen wir doch
ans Ziel, und am nächsten Morgen erreichten wir den Anfangsort unserer
Pilgerreise, nämlich Saint-Jean-Pied-de-Port, ein beschauliches,
baskisches Städtchen mit Mittelaltercharakter. Hier erhielten wir einen Stempel
in unseren Pilgerausweis und gute Ratschläge für die Überquerung der Pyrenäen.
In freudiger Erwartung und hoch
motiviert ging es auf die erste Etappe.
Schon an diesem ersten
Pilgertag sollten wir erfahren, was das Wort „Pilgern“ bedeutet, im Gegensatz
zum Wandern bedeutet Pilgern nämlich Schmerzen.
Die alte Pilgerweisheit, dass
ein richtiger Pilger sich verläuft, einmal etwas verliert und weinen muss, trat
zum Teil schon am ersten Tag ein: ich weinte, ich weinte vor Verzweiflung und
Kraftlosigkeit nach acht Stunden auf und ab über die Pyrenäen. Bei gefühlten
5°C war die Motivation dahin. Erst gegen 18:30 Uhr erreichten wir die erste
Station Roncesvalles, der erste Ort auf spanischer Seite.
Vollkommen durchnässt und
erschöpft halfen uns die Dusche, ein so genanntes Pilgermenü zusammen mit
vielen Gleichgesinnten und die anschließende Pilgermesse bei der unglaubliche
Erneuerung unserer Kräfte.
Diese Erfahrung sollte sich in
den nächsten 5 Wochen täglich wiederholen: brennende Fußsohlen, schmerzende
Knie und sogar Blasen waren am neuen Pilgertag vergessen, die Achtung vor
unserem Körper, der sich so schnell regenerieren kann, ist in uns unglaublich
gewachsen. So pilgerten wir durch das Baskenland, durch Navarra, durch das
Weinland Nordspaniens, die Rioja. Wir gingen durch Kastilien, durch Pamplona,
León, Burgos bis nach Galicien - nach Santiago de
Compostela. Weil das Pilgern inzwischen erfüllender war als ein
tagelanger Aufenthalt in einer menschenüberfüllten Großstadt, gingen wir noch
weiter an das so genannte Ende der alten Welt, nach Kap Finisterre.
Wir gingen einsame Wege, an
Autobahnen entlang, wir gingen über fruchtbares Land, über trockenes Land, wir
gingen Waldwege, wunderschöne Hohlwege, wir gingen tagelang an Weinbergen
entlang, aber vor allem gingen wir steinige, schattenlose Wege, die bei
regelmäßigen Temperaturen um 35°C das Wort „Pilgern“ verdeutlichten.
Wir gingen in alle kleinen und
großen Orte, die an diesem Weg liegen, denn der Jakobsweg führt immer über den
Kirchplatz mit seinen prächtigen Kirchen oder Kathedralen.
Wir sahen moderne Großstädte,
aber vor allem auch verlassene Dörfer, in denen nur noch ältere Menschen leben.
Aber egal, ob alt, ob jung, wir wurden immer vom Gruß „buen camino“ begleitet.
Wir sahen Zitronen- und
Orangenbäume, Oliven- und Eukalyptusbäume, Ginster in blau und gelb und
Heidepflanzen, die denen in der Lüneburger Heide Konkurrenz machen. Am Tage
ernährten wir uns vor allem von Obst und Gemüse (Pfirsiche, Kirschen, Tomaten)
irgendwo am Wegesrand erworben. Am Abend ließen wir uns das so genannte
Pilgermenü, eine dreigängige Speisefolge, gepaart mit einer Flasche Rotwein
munden und das gemeinsam mit Pilgern, die wir immer wieder trafen oder neuen
Gleichgesinnten. Wir waren alle gleich, jeder hatte dasselbe Ziel: in Santiago ankommen. Wir fühlten uns wie eine Familie. Es war so erstaunlich, wie
vertrauensvoll alle miteinander umgingen. Die Lebensgeschichten der Einzelnen
haben uns oft berührt.
Wir trafen Menschen aus vielen
Ländern der Welt und irgendwie mit Händen und Füßen, mit Englisch und ein
bisschen
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