Safe!
brauchte sie ja auch nicht. Über dem Waschbecken hing
ein Spiegel, in dem sie sich das erste Mal seit dem Aufstehen betrachtete. Sie
erkannte sich selber kaum wieder. So furchtbar hatte sie nicht mal als Kind
ausgesehen, wo sie damals in jede Ecke hinein gekrochen war. Ihre Haare standen
dreckverkrustet zu Berge, das Gesicht war schwarz braun verschmiert, überall
befand sich Blut und ihre Hände sahen so aus, als hätte sie damit ein Loch
ausgehoben.
Du liebe Güte. Dass man sie in diesem Aufzug überhaupt in
ein Auto gelassen hatte. Schnell stellte sie sich unter die Dusche und reinigte
sich von den Haaren bis zu ihren Zehen mit der Seife aus dem Spender, der dort
an der Wand hing. Die Seife brannte auf ihrer Haut. Überall auf ihren Armen
waren kleine Einschnitte und auf ihrer Stirn sogar ein größerer. Beim
Abtrocknen blutete sie ins Handtuch, doch das war ihr egal. Da in dem
Badezimmer kein Fön vorhanden war, machte Eve sich einen Knoten in ihre Haare
und schlüpfte in ihre frischen Klamotten. Als sie die Tür aufmachte, huschten
ihre Bewacher erst auseinander und ordneten sich dann in Reih und Glied auf dem
Weg zum Schwesternzimmer hinter ihr ein. Gleich darauf musste sie wieder runter
in die Ambulanz, wo sie ohne Wartezeit direkt in den Behandlungsraum
vorgelassen wurde.
Ein junger Arzt musterte ihre Kratzer. Die an den Armen
desinfizierte er nur. Die Wunde auf der Stirn musste mit drei Stichen vernäht
werden. Innerhalb weniger Minuten prangten drei starre schwarze Fäden wie fette
Spinnenbeine aus ihrer Stirn, dann war ihr Besuch in der Ambulanz abgeschlossen.
Freundlicherweise erklärte der Arzt Evelyn den Weg zum
Chirurgische Intensiv Bereich, so dass sie dort auf eine Nachricht von Marc
warten konnte. Ihre beiden Wachhunde begleiteten sie brav auch dorthin und wichen
nicht von der Stelle. Sie saßen mit ihr in dem Wartebereich und schwiegen bis
auf wenige Worte.
Nach über zwei Stunden kam ein ganz in blau gekleideter
Mann durch die Glastür, die den OP Bereich abtrennte. Sofort sprang Evelyn auf.
››Entschuldigung. Könnten Sie mir etwas zu Herrn Whitburn
sagen ?‹ ‹
››Der mit der Schusswunde?‹‹
Eve nickte. Vor ihren Augen stieg das Bild auf, wie Marcs
Blut zwischen ihren Fingern hervor quoll, während sie ihre Finger auf seine
Wunde presste.
››Der wird inzwischen wieder zu gemacht. Ich war nicht
mit dabei, aber erfahrungsgemäß dürfte er in spätestens dreißig Minuten wieder
draußen sein.‹‹
Er vergrub seine Hände in den Taschen, die vorne auf dem
Oberteil eingearbeitet waren. Dann nickte er und setzt seinen Weg fort. Ein
bisschen länger dauerte es doch noch, bevor Marc von zwei Pflegern aus dem OP
Trakt geschoben wurde. Er schlief. Beutel und Schläuche verteilten sich auf der
Bettdecke und er sah zum Fürchten blass aus.
Eve sprang erneut von ihrem Stuhl auf und lief den Pflegern
hinterher.
››Wie geht es ihm ?‹ ‹
Dieses Mal war die Antwort etwas großzügiger. ››Er hat es
überstanden. Die Ärzte mussten ihm ein Stück der linken Niere wegnehmen,
konnten aber den Rest erhalten. Er hat ziemlich viel Blut verloren. Aber er
wird wieder. Wir bringen ihn jetzt auf die Intensivstation, wo er noch ein paar
Stunden bleiben wird, bis er vollständig wach ist. Wenn keine Komplikationen
auftreten, ist er bald wieder auf der normalen Station.‹‹
Die beiden setzten ihren Weg mit Marc fort und Evelyn
folgte ihnen. Niemand hielt sie auf, als sie mit auf die Intensivstation ging.
Sie musste sich nur mit entsprechender Schutzkleidung versehen, dann durfte sie
wieder zu ihm.
Ihre Aufpasser mussten mal wieder draußen bleiben. Mit
einem schmalen Lächeln bemerkte sie, dass die beiden genauso unglücklich
aussahen wie die Hunde, die vor dem Supermarkt angeleint auf ihre Herrchen
warteten. Marc lag alleine in einem Raum, was ihm ein wenig Ruhe verschaffte,
da er durch das Piepen von den Maschinen, die die anderen Patienten versorgten,
nicht gestört wurde. Evelyn setzte sich auf einem Stuhl, den man ihr ans Bett
gestellt hatte und hielt seine Hand, während sie darauf wartete, dass er wach
wurde.
Mehr brauchte sie nicht. Alleine seine Gegenwart war
unendlich tröstlich für sie. Über seinem Kopf piepste leise und regelmäßig ein
Monitor im Takt zur angezeigten EKG Linie.
Ohne ihn säße sie jetzt garantiert nicht hier. Ohne sein
Eingreifen schon auf Gran Canaria, wäre sie jetzt bestenfalls in den Händen
dieser Verbrecher, schlimmstenfalls schon lange tot.
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