Sagen aus Hessen
am Abend auf den Tisch gestellt, sowie auch zugeschnittenes Leder. Allein wie wunderten sie sich, als sie am andern Morgen wohl neue Schuhe fanden, doch die Speisen waren unberührt und vom Wein nichts gekostet. »Müssen es anders anfangen«, sprach Jobsen, ging aufs Tuchhaus, kaufte rotes Zeug und ließ beim besten Schneider Röcklein und Höschen anfertigen. Wie werden sich die Gesellen freuen, dachte er, wenn sie die schönen Kleider finden? Wie werden sie flugs die schmutzigen Mäntel von sich tun? Des Nachts trippelt's und trappelt's wieder zu Tür und Fenster herein, und wie die Gesellen die schmucken roten Wämse finden, da werfen sie hurtig ihre schmutzigen Mäntel weg, putzen sich und hüpfen auf Tisch und Bänken herum. Sie jubeln, schauen in den Spiegel und singen: »Hör, wie so knapp, und sollen machen Schuh lapp?« Damit hüpfen sie zur Tür und zum Fenster hinaus und sind nie wiedergekommen. Meister Jobsen aber ging es gut sein Leben lang.
Die wilden Leute
In jenen alten Zeiten, als die Kinzig noch nicht zum Main hinunterfloß, sondern da, wo jetzt Schlüchtern steht, in einem großen Sumpf sich verlor, kam eines Tages ein graues Männchen in diese Gegend und flehte in einigen Hütten um ein wenig Brot und Obdach für die Nacht. Aber die Leute prügelten das Männchen und jagten es unbarmherzig von ihren Türen. Da wendete es sich der Wildnis zu, kletterte über Berg und Stein und gelangte endlich, als eben die Sonne unterging, zu andern Hütten im Wald, worin riesengroße Männer mit ihren ebenso großen Weibern wohnten, welche Kinder hatten, so groß wie jetzt der größte Mann. Der kleine Fremdling fürchtete sich vor ihnen und wollte fliehen, doch die Riesen riefen ihn freundlich zurück, erquickten ihn mit Speise und Trank und machten ihm auch ein weiches Lager zurecht von Waldmoos und dergleichen. Die Nacht verging und als der Morgen anbrach, machte das graue Männchen sich bereit, seine Wanderung fortzusetzen, dankte seinen Wirten und sprach: »Weil ihr wohltätig gegen mich gewesen seid, so tut einen Wunsch; wenn ich zu meinem Herrn komme, will ich ihn bitten, daß er euch den Wunsch gewähre.« Und der älteste von den Männern sagte: »Wir bitten, daß wir nie sterben, sondern immer in diesem Wald unser Wesen treiben dürfen.« Da sprach das Männchen: »Wohl, ich kann euch sagen, daß euer Wunsch euch gewährt wird, und solange ihr diesen Berg nicht verlaßt, werdet ihr leben und nicht sterben.«
So leben denn die »wilden Leute« noch immer in dem Bernhardswald bei Schlüchtern, am linken Kinzigufer, und haben ihre Häuser dort oben, wo gewaltige Steinmassen herniederstarren; die werden die »wilden Häuser« genannt. Da essen die »wilden Männer« täglich am »wilden Tisch« und ihre großen, schönen Frauen steigen in den Mondnächten auf in die Lüfte; ihre Kinder schützen die Kinder der Menschen, wenn sie Beeren suchen im Wald. Die »wilden Männer« sind am vergnügtesten, wenn der Sturmwind tobt und der Blitz aus den Wolken fährt, dann gehen sie hoch oben über die Berge und rütteln an den Wipfeln der Bäume. Aber sie freuen sich auch, wenn die Aronspflanze gedeihlich emporwächst und wenn sie zwischen den Schachtelhalmen dahergehen können; sie unterstützen gern die, welche ihnen begegnen und Heilung gegen Krankheit suchen in dem Erkennen nützlicher Kräuter, und sind überhaupt nur gegen böse Menschen feindlich gesinnt, die zuweilen mit Ohrfeigen von ihnen begrüßt werden.
Die Wohnung der Frau Holle
Bei Hilgershausen in der Nähe des Bades Sooden erhebt sich in einem Busch verborgen ein steiler Felsen, der Hollestein. Wie der Felsen versteckt liegt, so noch mehr die darin befindliche Höhle, die größte des Hessenlandes, die nur dem Kundigen bekannt ist. Altbemooste Steine führen wie eine wuchtige Treppe zu ihr empor, und vor dem Höhleneingang ruht ein mächtiger Opferstein, über den die Wipfel der Buchen ihre Zweige zusammenschlagen. Die mächtigen, bestaubten Felsblöcke im Innern türmen sich zu einer Tempeltreppe empor, die bis an die riesige Wölbung heranreicht. Unsichtbare Tropfen fallen klatschend auf das Gestein. Das ist die Wohnung der Frau Holle; das ist auch die Stelle, wo das Märchen von der Gold- und Pechmarie spielt.
Die Zauberpfeife
In der Gegend von Lorsch, da wo jetzt der Seehof steht, lag vor Zeiten ein großer See. Die rings gelegenen Dörfer traf einst eine arge Plage, ein Emsenregen, der so dicht war, daß die Felder von Ameisen wimmelten
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