Sagen aus Hessen
hielten es mit dem Feind. Auch der Türmer auf dem Schloßberg gehörte zu den Verrätern. Er konnte von seiner Wohnung aus die Bewegungen der Belagerer am ehesten beobachten und sein Amt erforderte es, daß er zu jeder Zeit der Stadt von einer drohenden Gefahr Kunde gab. In der Nacht aber, wo verabredetermaßen ein Sturm auf die Mauern von Homberg geschehen sollte, auch alles dazu vorbereitet war, unterließ der bestochene Türmer das Blasen mit dem Horn und die Stadt wäre verloren gewesen, wenn nicht die Magd des Türmers durch ihren angstvollen Ruf die Bürger aus dem Schlummer geweckt hätte. Sie konnte zwar nur auf der einen Seite des Schloßturms das Wächterhorn erschallen lassen, da die andern drei Seiten vom Türmer verschlossen waren. Dieser stürzte die Magd, weil sie seine böse Absicht vereitelt, in den vierundzwanzig Klafter tiefen Schloßbrunnen, aber die Feinde mußten unverrichteter Dinge abziehen. Seit dieser Zeit erscheint alle sieben Jahre auf dem Schloß eine weiße Frau und der Türmer darf bis heute nur auf drei Seiten die Stunde abrufen. Sollte er es wagen, auch auf der vierten Seite zu blasen, dann würde ihm die weiße Frau den Hals umdrehen.
Die Werra
Die Werra hat ihren Ursprung in einem Grund der alten gefürsteten Grafschaft Henneberg, die Gabel genannt. Ihren Namen wollen etliche herführen von Guerra oder Werra, ist so viel als Gewerr oder Gewirr – wegen der verwirrten Schlangen-Krümmung ihres Laufes, und des Streits oder Kampfs (Guerra), welchen sie mit andern an sich nehmenden Flüssen hat. Und von diesem alten keltischen Stammwort Wehr (ist so viel als Krieg) wollen einige das Wort Germani als Guerman, Gens d'armes, Werreman (das ist ein Kriegsmann) herführen.
Von den Druiden haben wir in unserm Hessenland an der Werra ein gewisses Wahrzeichen behalten, woher der Name Trittenberg (ist so viel als der Druidenberg), wo jetzt Treffurt liegt, von ihnen übrig geblieben. Auch ist der liebliche Weibername Gertrud (Druytgen, mein Druytchen), Truten Freund – ist so viel wie treuer oder vertrauter Freund – in Hessen noch allgemein.
Ein Götz, Stuffo genannt, ist gestanden an der Werra in dem Eichsfeld auf einem hohen Berg, Staufenberg genannt. Wenn das Volk denselben angerufen, hat der Teufel durch ihn geredet, daher wird selbiger Ort noch das Stuffen-Loch oder Stuffons-Höhle genannt. Etliche halten dafür, aber ohne Grund, daß des Götzen Stuffo Bildnis auf dem Berg eine Meile Weges von Gießen, wo jetzt das Städtlein Staufenberg liegt, gestanden habe.
Die Wichtel als Schuhmacher in Eschwege
In der alten Reichsstadt Eschwege lebte einst Meister Jobsen, ein armer Schuhflicker. Eines Abends saß er auf seinem Schemel, schon nahte Mitternacht und spärlich erleuchtete die Lampe das Stübchen. Finstere Sorgen trübten sein Inneres und der Gedanke, wie er sich mit Weib und Kind ehrlich durchbringen wolle in dieser schweren Zeit, lag ihm hart auf der Seele. Da schreckte ihn plötzlich ein Männlein auf, das wie gezaubert vor ihm stand und sagte: »Meister Jobsen, warum so grämlich? Will dein Geselle werden.« – »Bist mir auch der rechte Gesell«, sprach Jobsen verdrießlich und verwundert. »Bin's nicht allein, bin's nicht allein«, sprach das Männlein, »schneid Leder zu, schneid Leder zu, wir machen dir feine Schuh!« Sprach's und verschwand. Staunend und sinnend saß Jobsen noch eine Weile auf seinem Schemel und dachte: Das Glück reicht dir vielleicht die Hand, willst des Männleins Rede nicht verachten. Kannst Geld gewinnen, kannst reich werden. Flugs springt er, holt Leder, schneidet es zu Schuhen zurecht und legt sich müde dann zu Weib und Kind. Da trippelt und trappelt es zu Tür und Fenster herein, bald sitzt eine Schar kleiner munterer Gesellen um den Tisch herum und als Jobsen am andern Morgen erwacht, da steht manch Paar feiner Schuhe auf dem Tisch, aber die Gesellen sind verschwunden. Entzückt erzählt er seinem Weib das Abenteuer der vorigen Nacht und bringt die Schuhe zu Markte. Dann kauft er Leder ein und wohl zugeschnitten legt er's am Abend wieder zurecht. Des Nachts kommen die kleinen Gesellen und am andern Morgen findet er die schönsten Schuhe. So geht es eine Zeitlang fort, die feinen Schuhe finden viele Käufer und werden gut bezahlt, so daß Jobsen viel Geld gewinnt, Da spricht er zu seinem Weib: »Müssen doch den fleißigen Gesellen einmal etwas zugute tun. Kauf' Braten ein, back' Kuchen, bring Wein herbei.« So geschah es. Speis und Trank wurden
Weitere Kostenlose Bücher