Sagen des klassischen Altertums
Lesbos erbeutet hatte. Die eine von ihnen verstand das Essen in der Küche zu besorgen, die andere kredenzte den Wein beim Mahle, die dritte reichte das Wasser am Schlusse desselben, die letzte trug die Speisen von der Tafel ab; und alle viere wurden nur von der schöngelockten Brisëis an Reiz übertroffen. In diese vier teilten sich die beiden Kämpfer und sandten das liebliche Geschenk zu den Schiffen.
Hierauf begann der Faustkampf, zu dem sich Idomeneus erhob, der geübteste Kämpfer in allen Arten desselben. Darum, und auch weil er einer der älteren Helden war, traten die andern alle ehrfurchtsvoll vor ihm zurück, und es fand sich keiner, der den Wettstreit mit ihm versuchen wollte. Thetis gab ihm daher den Wagen des Patroklos zum Geschenke. Phönix und Nestor aber munterten die jüngeren Männer zu dieser Gattung des Kampfes auf. Da trat Epeios, der Sohn des Panopeus, und bald nach ihm Akamas, der Sohn des Theseus, hervor; beide schnürten sich ihre Hände schnell mit trockenen Riemen und prüften sie, ob sie gelenkig seien: dann erhoben sie dieselben gegeneinander und, indem sie sich mit lauerndem Blicke umschauten, näherten sie sich einander ganz leise auf den Zehen, Schritt für Schritt, bis sie plötzlich, wie vom Winde getriebene Wolken, aus denen es blitzt und donnert, aufeinander losstürzten; und nun hallten vom Schlage der Riemen die Wangen, und unter dem Schweiße floß das Blut. Theseus' Sohn wehrte den rastlos eindringenden Gegner, listig ausweichend, ab und schlug ihn plötzlich mit der Faust über den Wimpern bis auf die Knochen, daß das Blut hervordrang; dafür traf ihn jener an die Schläfe, daß Akamas taumelnd zu Boden sank. Doch er erholte sich wieder, und der Kampf begann aufs neue, bis die Freunde sich dazwischenwarfen und den Erbitterten begreiflich machten, daß hier ja nicht Grieche und Trojaner sich entgegenstehen. Thetis schenkte ihnen zwei herrliche Mischkrüge von Silber, die ihr Sohn als Ehrengeschenk von Lemnos gebracht hatte. Die Helden griffen freudig darnach, noch ehe sie an die Heilung ihrer Wunden dachten.
Nun warben Ajax und Teucer, die sich schon im Wettlaufe gemessen hatten, auch um den Preis des Bogenschießens. Als fernes Ziel stellte Agamemnon einen Helm mit flatternder Mähne auf. Sieger sollte der sein, dessen Pfeil das Roßhaar des Schweifes durchschnitte. Ajax schnellte zuerst seinen Pfeil von der Sehne: der traf den Helm, daß das Erz getroffen erklang. Eilig sandte Teucer auch seinen Pfeil ab; und siehe, seine Pfeilspitze durchschnitt den Helmschweif, daß die zuschauenden Helden laut aufjauchzten, denn obwohl sein Fuß noch vom vorigen Kampfe halb gelähmt war, hatte er doch so zierlich und sicher zu zielen gewußt.
Thetis beschenkte ihn mit der Rüstung des Troilos, des königlichen Jünglings aus Troja, den Achill in den früheren Jahren des Kampfes erlegt hatte.
Auf diesen Wettkampf folgte das Diskuswerfen; hierin versuchten sich viele der Helden, aber keiner vermochte die schwere Scheibe so kräftig zu werfen wie Ajax, der Telamonier, der sie hinausschleuderte, als wäre sie ein verdorrter Ast. Ihn beschenkte Thetis mit der Rüstung des Göttersohnes Memnon, die der Held auch sogleich anlegte. Mit Staunen sahen die Danaer, wie Stück für Stück des riesigen Panzers sich um seine Glieder schloß, als wäre er ihnen angegossen.
Die Reihe kam jetzt an den Wettstreit im Sprunge, in welchem Agapenor der Speerschwinger siegte und dafür die Waffen des von Achill besiegten Kyknos erhielt. Im Jagdspeerwurf siegte Euryalos und empfing die silberne Schale, die Achill einst zu Lyrnessos erbeutet hatte.
Nun folgte der Wettstreit im Wagenrennen. Da schirrten fünf Helden zugleich ihre Rosse: der Atride Menelaos, Euryalos, Polypötes, Thoas und Eumelos. Dann stellte sich jeder mit seinem Wagen vor den Schranken auf, schwang die Geißel, und auf ein gegebenes Zeichen flogen alle fünf zugleich über das Blachfeld hin, und der Staub vom Sande wirbelte gen Himmel. Bald rannten weit vor den übrigen die Rosse des Eumelos, nach ihm kam Thoas, dann Menelaos; die beiden andern blieben allmählich weit und immer 226
Gustav Schwab – Sagen des klassischen Altertums
weiter zurück: aber auch Thoas ermüdete, die Pferde des Eumelos strauchelten im allzu raschen Lauf, und als ihr Wagenlenker sie mit Gewalt zurechtebringen wollte, bäumten sie sich und warfen den Wagen um, daß Eumelos in den Sand rollte. Ein Geschrei erhub sich aus dem Umkreise der Zuschauer, und nun
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