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Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustav Schwab
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rissen blutige Lücken ins griechische Heer, und Paris tötete den Begleiter des Menelaos, den Demoleon aus Sparta. Dagegen rasete Philoktet unter den Trojanern wie der unbezwingliche Ares selber oder wie ein tosender Strom, der breite Fluren überschwemmt. Wenn ein Feind ihn nur von ferne erblickte, so war er verloren; schon des Herakles herrliche Rüstung, die er trug, schien die Troer zu verderben, als stünde das Medusenhaupt auf seinem Panzer. Zuletzt aber wagte es doch Paris und drang auf ihn ein, Bogen und Pfeile mutig in der Luft schwenkend. Auch schnellte er bald einen Pfeil ab; doch der schwirrte an Philoktet vorüber und verwundete seinen Nebenmann Kleodoros in die Schulter. Dieser wich, mit der Lanze fortkämpfend, zurück; aber ein zweiter Pfeil des Paris traf ihn zum Tode. Jetzt griff Philoktet zu seinem Bogen, und mit donnernder Stimme rief er: »Du trojanischer Dieb, Urheber alles unsres Unheils, du sollst es büßen, daß dich gelüstet hat, in der Nähe dich mit mir zu messen. Wenn du einmal tot bist, so wird deinem Haus und deiner Stadt das Verderben mit schnellen Schritten heraneilen!« So sprach er und zog die gedrehte Sehne des Bogens bis nahe an die Brust, so daß das Horn sich bog, und legte den Pfeil so auf, daß er nur ein weniges über den Bogen hervorragte. Mit einem Schwirren der Sehne flog das zischende Geschoß dahin und verfehlte aus der Hand des göttlichen Helden sein Ziel nicht, doch ritzte er dem Paris nur die schöne Haut, und auch dieser spannte seinen Bogen wieder; da traf ihn ein zweiter Pfeil des Philoktet in die Weiche, daß er nicht länger im Kampf auszuharren vermochte, sondern entfloh wie ein Hund vor dem Löwen, am ganzen Leibe zitternd.
    Der blutige Kampf dauerte noch eine Weile fort, während die Ärzte sich um die schmerzliche Wunde des Paris bemühten. Aber das Dunkel der Nacht war eingebrochen, und die Trojaner kehrten in ihre Mauern, die Danaer zu ihren Schiffen zurück. Paris durchstöhnte die Nacht ohne Schlaf auf seinem Schmerzenslager.
    Der Pfeil war bis ins Mark des Gebeines eingedrungen und die Wunde durch die Wirkung des scheußlichen Giftes, in das die Pfeile des Herakles getaucht waren, ganz schwarz vor Fäulnis. Kein Arzt vermochte zu helfen, ob sie gleich Mittel aller Art anwandten. Da erinnerte sich der Verwundete eines Orakelspruches, daß ihm einst in der größten Not nur seine verstoßene Gattin Önone helfen könne, mit welcher er, als er noch Hirte auf dem Ida war, glückliche Tage verlebt hatte. Aus dem eigenen Munde der Gattin hatte er damals, als er nach Griechenland zog, diese Wahrsagung vernommen. So ließ er sich denn jetzt ungerne, aber von der harten Qual gezwungen, dem Berge Ida, wo seine erste Gemahlin noch immer wohnte, zutragen. Von dem Gipfel des Berges herab krächzten Unglücksvögel, als die Diener mit ihm hinanstiegen. Ihre Stimme erfüllte ihn bald mit Entsetzen, bald trieb ihn wieder die Lebenshoffnung, sie zu verachten. So kam er in der Wohnung seiner Gattin an. Die Dienerinnen und Önone selbst erfüllte der unerwartete Anblick mit Staunen; er aber stürzte sich zu den Füßen seines verschmähten Weibes und rief. »Ehrwürdige Frau, o hasse mich jetzt nicht in meiner Bedrängnis, weil ich dich einst unfreiwillig als Witwe zurückließ. Denn sieh, es waren die unerbittlichen Parzen, die mich Helena entgegengeführt. O wäre ich doch gestorben, ehe ich sie in den Palast meines Vaters gebracht! Doch jetzt beschwöre ich dich bei den Göttern und unserer früheren Liebe, habe Mitleid mit mir und befreie mich von dem quälenden Schmerz, indem du auf meine Wunde die Heilmittel auflegst, die nach deiner eigenen Weissagung mich allein zu retten vermögen!«
    Aber seine Worte erweichten den harten Sinn der Verstoßenen nicht. »Was kommst du zu der«, sprach sie scheltend, »die du verlassen und dem bitteren Jammer preisgegeben hast, weil du an Helenas ewiger Jugend dich zu erfreuen hofftest? So geh nun und wirf dich ihr zu Füßen, ob sie dir helfen möge; meine Seele aber hoffe nicht mit deinen Tränen und Klagen zum Mitleid zu stimmen!« So schickte sie ihn wieder aus 239
    Gustav Schwab – Sagen des klassischen Altertums
    ihrer Behausung fort, ohne zu ahnen, daß ihr eigenes Schicksal an das ihres Gatten gebunden sei. Paris schleppte sich, von den Dienern gestützt und getragen, kummervoll über die Höhen des waldigen Ida hin, und Hera vom Olymp herab labte sich an dem Anblicke. Noch war er nicht an den Abhang des Berges gelangt,

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