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Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustav Schwab
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zurück, als wenn nichts geschehen wäre; denn die Kaufleute verweilten noch ein ganzes Jahr auf der Insel. Als sie sich endlich mit dem schwerbeladenen Schiffe zur Heimfahrt rüsteten, erschien ein listiger Mann mit einem goldenen Halsbande im Palaste meines Vaters und bot es zum Verkauf an. Mutter und Mägde umstanden ihn im Saal, faßten es eine um die andere mit der Hand, musterten es mit den Augen und feilschten um den Preis. Währenddessen gab der Mann –
    denn es war ein Bote der Phönizier – dem Weib einen heimlichen Wink. Kaum hatte er das Haus verlassen, so nahm diese mich an der Hand und entführte mich aus dem Palast. Im Vorsaale fand sie Tische und Becher für Gäste des Vaters aus der Ratsversammlung gerüstet. Da sah ich, wie sie schnell drei goldene Gefäße hinwegnahm und im Wurf ihres Gewandes verbarg; in meiner Einfalt besann ich mich nicht darüber, sondern folgte ihr. Die Sonne war eben am Untergehen, als wir im Hafen anlegten und mit der übrigen Mannschaft das Schiff bestiegen.
    Wir fuhren mit günstigem Winde ab und mochten etwa sechs Tage lang gesteuert sein, als das verräterische Weib, vom Pfeile der Artemis, wie man sagt, getroffen, plötzlich im Schiffsraume tot zu Boden fiel, wie ein Seehuhn, das der Jäger geschossen. Man warf sie über Bord, den Fischen zur Beute, und ich kleines Kind blieb allein, ohne einen Menschen, der sich meiner angenommen hätte, auf dem Schiffe. Die Phönizier aber landeten endlich in Ithaka, wo mich der alte Laërtes von den Kaufleuten erhandelte. Auf diese Weise habe ich zuerst unsre Insel mit Augen gesehen.«
    »Nun«, sprach Odysseus, »du darfst doch nicht ganz unzufrieden mit deinem Schicksale sein, denn Zeus hat dir zu dem Bösen doch auch Gutes beschert und einem freundlichen Mann in die Hand gegeben, der es dir an nichts fehlen ließ und auf dessen Gute du noch immer in Gemächlichkeit lebst. Ich Armer dagegen irre in beständiger Verbannung umher.«
    Unter solchen Gesprächen war ihnen die Nacht fast ganz dahingeschwunden, und sie schliefen nur noch weniges, bis die anbrechende Morgenröte sie weckte.
    TELEMACH KOMMT HEIM
    An demselben Morgen landete Telemach mit seinen Begleitern an Ithakas Gestade. Dem Rate Athenes gehorchend, hieß er diese ohne Verzug nach der Stadt fortrudern, versprach ihnen, am andern Tage durch ein fröhliches Mahl den Dank für die Reise zu bezahlen, und schickte sich zum Wege nach dem Hirten an.
    »Aber wo soll ich hingehen, mein Sohn«, fragte den Scheidenden Theoklymenos, »wer in der Stadt wird mich aufnehmen? Soll ich etwa geradenwegs auf den Palast deiner Mutter zugehen?« »Hätte unser Haus«, antwortete Telemach, »ein anderes Ansehen, als es gegenwärtig hat, so würde ich dir unbedenklich dazu raten; so aber würdest du von den Freiern doch nicht vorgelassen, und meine Mutter webt im einsamsten Gemache des Hauses an einem Gewande. Da wäre es noch klüger, dich in das Haus des Eurymachos zu begeben, der ein Sohn des in Ithaka hoch angesehenen Mannes, des Polybos, und der Erste unter denen ist, die sich um meine Mutter bewerben.« Während er noch redete, flog ein Habicht mit einer Taube vorüber, deren Gefieder er berupfte. Da führte der Seher den Jüngling bei der Hand auf die Seite und sagte ihm ins Ohr: »Sohn, wenn meine Kunst mich nicht ganz täuscht, so gilt dieses Zeichen deinem Hause. Nie wird ein anderes Geschlecht auf Ithaka walten: ihr seid die ewigen Beherrscher dieses Landes!«
    Ehe nun Telemach von Theoklymenos Abschied nahm, empfahl er diesen noch seinem vertrautesten Freunde, dem Peiraios, dem Sohne des Klytios, daß er den Fremdling in seine eigene Wohnung aufnehmen und liebreich pflegen möchte, bis Telemach in die Stadt käme. Dann schied er, und die Genossen fuhren weiter.
    Inzwischen rüsteten Odysseus und der Sauhirte in der Hütte das Frühstück, und die Knechte trieben die Schweine hinaus. Als sie behaglich beim Mahle saßen, ließen sich draußen Fußtritte hören, und die Hunde wurden laut, doch ohne zu bellen; sie schienen vielmehr einem Herankommenden zu schmeicheln.
    »Gewiß«, sagte Odysseus zu dem Hirten, »besucht dich ein Freund oder Bekannter; denn gegen Fremde 312
    Gustav Schwab – Sagen des klassischen Altertums
    gebärden sich deine Hunde ganz anders, das hab ich erfahren!«
    Das Wort war noch nicht ganz ausgeredet, als sein lieber Sohn Telemach unter der Hüttentür stand. Der Sauhirt ließ das Trinkgeschirr vor freudiger Bestürzung aus der Hand sinken, eilte seinem

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