Die schwarzen Juwelen 01 - Dunkelheit
Prolog
Terreille
I ch bin Tersa die Weberin, Tersa die Lügnerin, Tersa die Närrin.
Wenn die Damen und Herren mit den Blutjuwelen ein Bankett feiern, bin ich stets die Unterhaltung nach den Musikern und den geschmeidig tanzenden Mädchen und Jungen. Denn wenn die Herren zu viel Wein getrunken haben, verlangen sie, die Zukunft vorhergesagt zu bekommen. »Erzähl uns eine Geschichte, Weberin«, rufen sie, während sie den Bedienungen über das Gesäß streicheln und die Damen die Jünglinge beäugen, um zu entscheiden, wer in dieser Nacht das schmerzhafte Vergnügen haben soll, ihnen im Bett zu Diensten zu sein.
Einst war ich eine der ihren, Blut, wie sie Blut sind.
Nein, das stimmt nicht. Ich war nicht Blut, wie sie Blut sind. Deshalb zerbrach mich der Speer eines Kriegers und ich wurde zu zersplittertem Glas, das lediglich widerspiegelt, was hätte sein können.
Es ist schwierig, einen Blutmann zu zerbrechen, doch das Leben einer Hexe hängt am Jungfernfaden und was in ihrer Jungfrauennacht passiert, ist ausschlaggebend dafür, ob sie ein Ganzes ist und die magische Kunst ausüben kann, oder ob sie ein zerbrochenes Gefäß ist und sich für immer nach dem Teil ihres Selbst sehnt, der verloren gegangen ist. Ach, ein wenig Magie bleibt immer zurück, gerade genug für das tägliche Überleben und ein paar Zaubertricks, aber nicht die echte Kunst, nicht das Lebensblut unserer Art.
Als ich noch jünger war, kämpfte ich gegen das endgültige
Abgleiten in das Verzerrte Reich. Es ist besser, gebrochen und bei Verstand zu sein, als gebrochen und wahnsinnig. Besser, die Welt um sich her zu sehen und einen Baum als Baum und eine Blume als Blume zu erkennen, als durch einen Gazeschleier auf graue, gespenstische Schemen zu blicken und nur die Scherben des eigenen Selbst deutlich wahrzunehmen.
So dachte ich damals.
Während ich zu dem niedrigen Schemel schlurfe, gebe ich mir Mühe, mich am Rand des Verzerrten Reiches zu halten und die physische Welt ein letztes Mal klar zu sehen. Behutsam stelle ich den Holzrahmen auf den kleinen Tisch neben dem Schemel. Auf den Rahmen ist mein Verworrenes Netz gespannt, ein Geflecht aus Träumen und Visionen.
Die Herren und Damen erwarten, dass ich ihnen die Zukunft vorhersage, und das habe ich von jeher getan, nicht mithilfe von Zauberkraft, sondern indem ich Augen und Ohren offen halte und ihnen erzähle, was sie hören wollen.
Es ist einfach. Keinerlei Magie im Spiel.
Doch heute Abend ist alles anders.
Seit Tagen habe ich einen eigenartigen Donner gehört, ein entferntes Rufen. Gestern Nacht gab ich dem Wahnsinn nach, um meine magische Kunst als Schwarze Witwe wiederzuerlangen, als Hexe des Stundenglassabbats. Gestern Nacht wob ich an einem Verworrenen Netz, um die Träume und Visionen zu sehen.
Heute Abend wird es keine Zaubertricks geben. Meine Kraft reicht nur aus, um dies ein einziges Mal zu sagen, und bevor ich spreche, muss ich mich vergewissern, dass diejenigen, die es hören sollen, im Raum sind.
Ich warte. Sie bemerken es nicht. Gläser werden wieder und wieder gefüllt, während ich darum ringe, am Rand des Verzerrten Reiches zu bleiben.
Ah, da ist er! Daemon Sadi aus dem Territorium Hayll. Er ist schön, bitter und grausam, hat das Lächeln eines Verführers
und einen Körper, den Frauen berühren und von dem sie liebkost werden wollen. Aber in seinem Innern tobt ein kaltes, unauslöschbares Feuer der Wut. Wenn die Damen sich über seine Fähigkeiten im Schlafgemach unterhalten, flüstern sie etwas von »qualvoller Wonne«. Ich bezweifle nicht, dass er sadistisch genug ist, um Schmerz und Lust zu gleichen Teilen miteinander zu mischen, doch zu mir war er immer gütig und ich sende ihm heute Abend einen Hoffnungsschimmer, der zwar klein ist, aber immer noch mehr, als ihm sonst jemand zuteil werden lässt.
Die Damen und Herren werden unruhig. Normalerweise brauche ich nicht so lange, um mit meinen Vorhersagen zu beginnen. Ungeduld und Ärger machen sich breit, doch ich warte. Nach dem heutigen Abend ist alles egal.
Da ist der andere Kriegerprinz, in der gegenüberliegenden Ecke des Raumes. Lucivar Yaslana, der eyrische Mischling aus dem Territorium Askavi.
Hayll und Askavi haben nichts füreinander übrig, doch Daemon und Lucivar fühlen sich einander verbunden, ohne zu verstehen, weshalb. Ihre Leben sind so sehr verwoben, dass sie sich nicht trennen lassen. Die ungleichen Freunde haben legendäre Schlachten geschlagen und so viele Höfe zerstört, dass die
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