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Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustav Schwab
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Schiffen umkehren!«
    Sie taten nach dem Rate des Alten und flogen zurück in das Meer. Nun schifften sie an mancherlei Küstenländern vorüber, immer dem Süden zu, vorbei am Meerbusen von Tarent, an der Stadt Kroton mit ihrem Junotempel, an dem klippenvollen Skylation. Schon tauchte aus der fernen Flut Sizilien auf mit seinem Ätna, schon von weitem hörten sie jetzt ein gewaltiges Tosen des Meeres, Brandung um die Felsen, am Gestade gebrochenen Laut: aus tiefem Abgrunde sprudelte die Flut empor, und Sand unter Wasserschaum stäubte in die Luft. »Das ist die Charybdis«, rief der länderkundige Anchises, »das gräßliche Felsenriff. Werft euch an die Ruder, Gefährten, reißet uns aus der Todesgefahr!« Eifrig lenkten alle mit den Schiffen zur Linken um, Palinurus mit dem krachenden Schiffschnabel voran. Bald flogen die Schiffe aus den Wölbungen des Strudels zu den Wolken empor, und wenn die Wogen verrollten, versanken sie wie in die Unterwelt; und dies geschah zu dreien Malen. Als sie der Gefahr glücklich entronnen waren, gerieten sie, aller Bahn unkundig, an den Strand der Zyklopen, wo ein geräumiger Hafen sie aufnahm. In ihrer Nähe hörten sie hier den feuerspeienden Berg Ätna donnern, der bald schwarzes Gewölk, Pechqualm und glühende Asche in die Luft emporwirbelt, bald das Eingeweide des Berges, Steine und geschmolzene Felsen, hinaufschleudert und vom untersten Grunde aus brausend siedet. Der Leib des Giganten Enceladus – andre erzählen, der des Riesen Typhon –, vom Blitze Jupiters versengt, soll hier in den Gründen der Erde liegen, und der mächtige Ätna, über denselben geworfen, sende, sagt man, den Flammenhauch des Riesen aus seinem Schlund empor; sooft jener, unter der drückenden Last ermattet, seine Seite wechselt, bebt die ganze Insel von dumpfer Erschütterung, und ein Rauch hüllt den Himmel in seinen Schleier.
    Äneas und seine Genossen waren bei Nacht an die Insel verschlagen worden, und der Berg war ihnen noch dazu von Wäldern verdeckt. Auch umzog den verfinsterten Himmel ein dickes Gewölk, und hinter seinen Schichten verbargen sich der Mond und die Sterne. So hörten sie die ganze Nacht hindurch nur das fürchterliche Tosen, ohne die Ursache desselben erraten zu können. Als der Morgenstern am Himmel stand und Aurora die Schatten vertrieb, sahen die Flüchtlinge, die sich am Strande gelagert, einen fremden seltsamen Mann, ganz in Lumpen gehüllt, ein rechtes Jammerbild des Elendes, plötzlich aus den Wäldern hervortreten und die Hände flehend nach ihnen zu dem Ufer ausstrecken. Abscheulicher Schmutz entstellte ihn; die Fetzen seines Gewandes waren mit Dornen zusammengeheftet; sein langes verwirrtes Barthaar flog im Winde. Übrigens erkannte man auch in diesem jämmerlichen Aufzuge noch den Griechen, der einst vor Troja gekämpft hatte. Als dieser in der Ferne trojanische Rüstungen sah, stutzte er einen Augenblick und hemmte schüchtern seine Schritte. Bald aber rannte er entschlossen wieder vorwärts zum Ufer und flehte weinend zu den Ankömmlingen hinüber: »Bei den Gestirnen, bei den Göttern, beim Himmelslichte beschwöre ich euch, Trojaner nehmet mich fort mit euch, wohin es auch gehen mag! Ich weiß wohl, ich bin einer vom Danaerheer, ich habe eure Stadt befehdet, habe sie zerstören helfen. Nun, seid ihr unversöhnlich, so reißet mich in Stücke und versenkt mich im tiefsten Wasser, wird mir so doch der Trost zuteil, von Menschenhänden zu sterben!« So sprach der Unglückliche, umfaßte die Knie des Helden Äneas und schmiegte sich fest an ihn an. Da ermahnten ihn alle, sein Geschlecht, seinen Namen, sein Schicksal zu melden, und der ehrwürdige Greis Anchises reichte ihm selbst die Hand und nötigte ihn, vom Boden aufzustehen. Allmählich erholte sich der Arme von der Furcht. »Ich stamme«, begann er, »aus Ithaka und war ein Genosse des erfahrungsreichen Helden Odysseus. Achämenides ist mein Name. Weil man Vater Adamastus arm war, entschloß ich mich, mit gegen Troja zu ziehen. Es war mein Unheil; den Gefahren des Krieges glücklich entronnen, wurde ich hier in der scheußlichen Höhle des Zyklopen, als Odysseus und meine andern Begleiter, so viele der Menschenfresser noch nicht geopfert hatte, die Höhle mit List verließen, krank und elend in einem Winkel der Kluft liegend vergessen. Ich hatte es mit angesehen, wie das Ungetüm von meinen armen Freunden ein Paar ums andere verschlang, hatte mit Hand angelegt, als der einäugige Riese von Odysseus im Rausche

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