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Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustav Schwab
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allem Streite ruhen; aber wir beide, sobald die Sonne am Himmel aufgegangen ist, wollen mit unserem Blute den Krieg entscheiden, nur auf diese Weise soll das Schlachtfeld bestimmen, wem Lavinia als Gattin folgen wird.«
    Nun ließ Turnus, ins Innere der Burg zurückgekehrt, seine schneeweißen, windschnellen Rosse vorführen, legte sich die Waffen an, ergriff die unbesiegte Lanze, und sprühenden Auges übte er sich in spielendem Stoß. Auch Äneas, mit der Botschaft des Rutulerfürsten zufrieden, wappnete sich mit seiner göttlichen Rüstung. Kaum bestrahlte der Tag die Gipfel der Berge mit frühem Sonnenlichte, als schon Rutuler und Trojaner vor den Mauern der mächtigen Latinerstadt das Feld für den Zweikampf ihrer Feldherren abmaßen und in der Mitte den gemeinsamen Göttern Rasenaltäre aufbauten. Wasser und Feuer zum Opfer, Kränze für die Priester, Tiere und Altäre wurden herbeigebracht. Dann ergoß sich das gesamte Volk der Italer aus den Toren der Stadt; von der andern Seite eilte das verbündete Heer der Trojaner und Etrusker herbei. Auf ein gegebenes Zeichen zog sich jeder auf seinen Platz zurück, und ein geräumiges Feld blieb zum Kampfe offen. Die Krieger stießen ihre Spieße in die Erde und lehnten die Schilde an. Aus der Stadt strömte jetzt auch noch unbewaffneter Pöbel heraus, selbst schwache Mütter und gebückte Greise.
    Innerhalb der Stadt besetzten sich Türme und Dächer mit Zuschauern, und auf den höchsten Toren saßen der Schaulustigen genug.
    Jetzt nahten die Könige: Latinus kam auf einem vierspännigen Prunkwagen einhergefahren; von seiner Stirne blitzte ein Diadem mit zwölf goldenen Strahlen, zum Zeichen, daß er vom Sonnengotte abstamme.
    Turnus erschien mit einem Zwiegespann von weißen Rossen, zwei Wurfspieße in der Hand schüttelnd. Auf der andern Seite eilte aus dem trojanischen Lager Äneas hervor, und seine Rüstung samt Schild strahlte wie Sternenschimmer; an seiner Seite ging Askanius, sein kräftig heranblühender Sohn. Dann brachte ein Priester in reinem Gewande ein borstiges Ferkel und ein langwolliges Lamm und stellte die Tiere an die brennenden Altäre. Die Fürsten wandten sich mit ihrem Angesichte der aufgegangenen Sonne zu, streuten gesalzenes Mehl auf die Opfer, schoren ihnen die Scheitel mit dem Stahle und gossen das Dankopfer auf die Altäre. Dann beschworen dort Äneas, hier Latinus mit feierlichen Gebeten den Vertrag: Würde Äneas besiegt, so sollten die Trojaner unter Julus Latium auf der Stelle räumen und nach Pallanteum, der Stadt Euanders, sich zurückziehen; wäre der Sieg sein, so sollten sich Italer und Trojaner, jedes Volk frei und selbständig, vereinigen, Latinus herrschen, Äneas die Tochter des Königs gewinnen und eine Stadt sich und seinem Volke bauen und nach ihrem Namen Lavinia nennen.
    Den Rutulern erschien längst der Kampf als ein ungleicher: ihre Herzen gärten ungeduldig, und der Ausgang deuchte ihnen bei des Äneas überwiegender Heldenkraft sehr unsicher. Ihre Sorge vermehrte sich, als sie ihren Führer Turnus mit bleichem Antlitz und eingefallenen Wangen schweigend vortreten und mit gesenktem Haupte vor dem Altare stehen sahen. Seiner Schwester Juturna entgingen diese Eindrücke nicht; sie, eine unsterbliche Nymphe, verwandelte sich schnell in die Gestalt des Helden Kamers, der durch mächtige Ahnen und eigene Taten in großem Ansehen bei dem Rutulervolke stand, und mischte sich mitten unter das Heer. »Rutuler«, flüsterte sie da, »schämt ihr euch nicht, für euch viele streitbaren Männer, die ihr so gut kämpfen könnet, nur eine einzige Seele dem Tode darzubieten? Sind wir unsern Gegnern etwa an Kräften nicht gewachsen? Zählet einmal Trojaner, Arkadier und Etrusker: ihr werdet finden, daß, wenn wir uns Mann gegen Mann schlagen wollten, kaum jeder von uns Rutulern und Latinern seinen Gegner finden würde! Turnus freilich wird zu den Göttern, an deren Altar er sich weiht, ruhmvoll emporsteigen, wenn er fällt; wir aber werden unser Vaterland verlieren, um trotzigen Zwingherren dienstbar zu sein: und es geschieht uns recht; warum saßen wir auch untätig hier im Grase, während wir hätten kämpfen können!«
    So sprach Juturna, und sie tat noch mehr. Sie schickte den Italern ein sinnbetörendes günstiges Vorzeichen vom Himmel. Ein Goldadler Jupiters schwebte durch den lichten Äther, scheuchte das Ufergevögel des Stromes auf, schwang sich dann plötzlich zu den Wellen hinab und packte mit den Klauen den schönsten Schwan.

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