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Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustav Schwab
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sich her bis in die Nähe von Sikyon. Während der Hetzjagd starb die älteste von den Töchtern des Prötos, die beiden andern aber wurden feierlich gereinigt, indem Melampus durch Gebete und Opfer die erzürnte Hera versöhnte. So kamen sie wieder glücklich zu Verstand, und ihr Vater gab außer dem versprochenen Lande die eine dem Melampus, die andere dem Bias zur Gattin, wodurch die Brüder mächtige Könige wurden. Von ihnen stammte eine große und glorreiche Nachkommenschaft ab, die Melampodiden, auf welche sich die Sehergabe des Ahnherren forterbte.
    ORPHEUS UND EURYDIKE
    Der unvergleichliche Sänger Orpheus war ein Sohn des thrakischen Königs und Flußgottes Öagros und der Muse Kalliope. Apollon selbst, der melodische Gott, schenkte ihm ein Saitenspiel, und wenn Orpheus 399
    Gustav Schwab – Sagen des klassischen Altertums
    dasselbe rührte und dazu seinen herrlichen Gesang, den seine Mutter ihn gelehrt hatte, ertönen ließ, so kamen die Vögel in der Luft, die Fische im Wasser, die Tiere des Waldes, ja die Bäume und Felsen herbei, um den wundervollen Klängen zu lauschen. Seine Gattin war die holdselige Najade Eurydike, und sie liebten sich beide auf das zärtlichste. Aber ach, nur allzu kurz war ihr Glück; denn kaum waren die fröhlichen Lieder der Hochzeit verstummt, da raffte ein früher Tod die blühende Gattin dahin. Auf grüner Aue lustwandelte die schöne Eurydike mit ihren Gespielinnen, den Nymphen; da stach sie eine giftige Natter, die im Grase versteckt lag, in die zarte Ferse, und sterbend sank die Liebliche ihren erschreckten Freundinnen in die Arme. Unaufhörlich hallten nun die Berge und Täler vom Schluchzen und Klagen der Nymphen wider, und unter ihnen jammerte und sang Orpheus, seinen Schmerz in wehmütigen Liedern austönend; da trauerten die Vöglein und die klugen Hirsche und Rehe mit dem verlassenen Gatten. Aber sein Flehen und Weinen brachte die Verlorne nicht zurück. Da faßte er einen unerhörten Entschluß: Hinunter in das grausige Reich der Schatten wollte er steigen, um das finstere Königspaar zur Rückgabe Eurydikes zu bewegen. Durch die Pforte der Unterwelt bei Tainaron ging er hinab; schaurig umschwebten die Schatten der Toten den Lebenden, er aber schritt mitten durch die Schrecknisse des Orkus, bis er vor den Thron des bleichen Hades und seiner strengen Gemahlin trat. Dort faßte er seine Leier und sang zum süßen Klange der Saiten: »O ihr Herrscher des unterirdischen Reiches, gönnet mir, Wahres zu reden, und höret gnädig meine Bitten an! Nicht kam ich herab, von Neugier getrieben, den Tartaros zu schauen, nicht um den dreiköpfigen Hund zu fesseln; ach nein, um der Gattin willen nah ich mich euch. Vom Biß der tückischen Natter vergiftet, sank die Teure in der Jugend Blüte dahin, nur wenige Tage war sie meines Hauses Stolz und Freude. Sehet, ich wollte es tragen, das unermeßliche Leid; als Mann hab ich lange gerungen. Aber die Liebe zerbricht mir das Herz, ich kann nicht ohne Eurydike sein. Darum fleh ich zu euch, furchtbare, heilige Götter des Todes! bei diesen grauenvollen Orten, bei der schweigenden Öde eurer Gefilde: Gebt sie mir wieder, die traute Gattin; laßt sie frei, und schenket ihr das allzufrüh verblühte Leben von neuem! Aber kann es nicht sein, o so nehmet auch mich unter die Toten auf, nimmer kehr ich ohne sie zurück.« Also sang er und rührte mit den Fingern die Saiten. Siehe, da horchten die blutlosen Schatten und weinten. Der unselige Tantalos haschte nicht mehr nach den entschlüpfenden Wassern, Ixions sausendes Rad stand still, die Töchter des Danaos ließen ab vom vergeblichen Mühen und lehnten horchend an der Urne, Sisyphos selbst vergaß seiner Qual und setzte sich auf den tückischen Felsblock, den sanften Klagetönen zu lauschen. Damals, so sagt man, rannen selbst von den Wangen der furchtbaren Eumeniden Tränen hernieder, und das düstere Herrscherpaar fühlte sich zum ersten Mal von Mitleid bewegt. Persephone rief den Schatten Eurydikes, der unsicheren Schrittes herankam. »Nimm sie mit dir«, sprach die Totenkönigin, »aber wisse: nur wenn du keinen Blick auf die Folgende wirfst, ehe du das Tor der Unterwelt durchschritten, nur dann gehört sie dir; doch schaust du dich zu frühe nach ihr um, so wird dir die Gnade entzogen.«
    Schweigend und schnellen Schrittes klimmen nun die beiden den finstern Weg empor, vom Grauen der Nacht umgeben. Da ward Orpheus von unsäglicher Sehnsucht ergriffen, er lauschte, ob er nicht den

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