Sagen des klassischen Altertums
dieser Bauer spannte das geflügelte Pferd der Dichtung in ein Joch und trieb damit seinen Pflug an.
Aus den Blutstropfen, die aus dem Haupt der Medusa auf die Erde fielen, wuchsen Kräuter, aus denen Heilmittel und Gifte gewonnen wurden.
Perseus machte sich auf den Heimweg. Er hatte das Haupt der Medusa erbeutet. Die Steuer konnte er also bezahlen, dachte er, und auf seinen Flügelschuhen flog er an der Küste entlang. Wie er so hinunterschaute, da sah er im Westen den Riesen Atlas stehen.
Atlas ist jener Titan, der gezwungen ist, das Himmelsgewölbe zu tragen. Das interessierte den Perseus. Er landete vor den Füßen des Titanen und fragte, ob das eine schöne Arbeit sei.
Atlas gab ihm eine patzige Antwort, sagte, er solle verschwinden, er solle ihn gefälligst in Ruhe lassen.
Darüber war nun wiederum Perseus erbost, und er probierte das erste Mal seine neu gewonnene Geheimwaffe aus. Er griff in seinen Mantelsack, zeigte dem Atlas das Haupt der Medusa, und siehe da, er wurde sofort zu Stein. – Diesen versteinerten Titanen kann man heute noch bewundern – das Atlasgebirge in Marokko.
Perseus flog weiter.
Unterwegs, gerade als er so über Phönizien flog, sah er unter sich etwas Seltsames: eine Frau, die an die Felsküste gefesselt war. Er ging tiefer, umkreiste die Frau und sah, daß die Frau weinte, sah, daß sie Angst hatte. – Diese Frau war Andromeda.
»Wer ist die Schönste im ganzen Land?« Diese Frage, das wissen wir, löst in den Märchen meist großes Unheil aus. Und auch im Falle der Jungfrau Andromeda war es nicht anders. Sie hatte eine sehr eitle Mutter. Kassiopeia hieß sie, und diese Kassiopeia blickte eines Morgens auf ihr reifes Töchterchen und rief aus: »Das ist das schönste Wesen der Welt!«
So begeistert war die Mutter von Andromedas Schönheit, daß sie zur Küste rannte und aufs Meer hinaus rief: »Hört zu, ihr Töchter des Poseidon! Ihr seid schön, aber meine Andromeda ist hundertmal schöner als ihr!«
Von den Töchtern des Poseidon hieß es, sie seien die schönsten Wesen im ganzen Erdenkreis. Sie tauchten aus den Fluten auf, hörten, wie Kassiopeia immer wieder rief, ihre Tochter sei hundertmal schöner als sie, und die Eifersucht machte, daß sie grün wurden.
Sie tauchten zu ihrem Vater Poseidon und sagten: »Da gibt es ein Weib, das behauptet, ihre Tochter sei hundertmal schöner als wir. Das ist ein Problem für uns.«
Poseidon löste dieses Problem. Er löste es, wie er Probleme immer löste.
Er sagte zu seinen Töchtern: »Ich werde ein Ungeheuer schicken, das soll euer Problem verschlingen.«
Erst schickte er eine große Flutwelle über die Stadt, die richtete furchtbaren Schaden an. Dann überschwemmte er die Felder, und es drohte eine Hungersnot.
Ein Seher wurde um Rat gefragt, der sagte: »Andromeda, der Kassiopeia Tochter, muß geopfert werden. Fesselt sie an die Felsen beim Meer!«
Das war geschehen.
Gerade als Perseus auf seinen Flügelschuhen dahergeflogen kam, sah er, wie sich ein Meerungeheuer im Wasser vor der Küste tummelte. Perseus hatte sich auf Anhieb in Andromeda verliebt. Er handelte rasch. Sprach bei Andromedas Vater vor, handelte mit ihm einen Ehevertrag aus und versteinerte das Ungeheuer in letzter Sekunde mit dem Haupt der Medusa.
Aus Dankbarkeit verliebte sich Andromeda in ihn.
Perseus nahm seine junge Frau mit zu seiner Mutter Danaë, stellte sie ihr vor. Ich glaube, die beiden konnten sich ganz gut leiden. Gegenteiliges war jedenfalls nicht zu erfahren.
Dann trat Perseus vor den begehrlichen König hin und sagte: »Ich habe das Haupt der Medusa für dich.«
»Du bist wirklich verrückt«, sagte der König. »Ich dachte erst, du seist lediglich etwas naiv, aber doch intelligent. Nun aber sehe ich, du bist dumm. Niemand kann das Haupt der Medusa gewinnen.«
»Gut«, sagte Perseus, »dann werde ich es dir zeigen. Möchtest du es sehen?«
»Ja, selbstverständlich will ich es sehen«, sagte der König.
Perseus fragte noch einmal: »Möchtest du es wirklich sehen?«
»Ja, ich will es sehen.«
»Na gut«, sagte der junge Held, wandte den Kopf ab, griff in seine Manteltasche und holte das abgeschlagene Haupt der Medusa heraus. – Wir wissen, was mit dem begehrlichen König geschah …
Perseus wollte nichts anderes, als mit seiner Mutter und seiner Frau in seine Heimat zurückkehren, an seinen Geburtsort, auf die Insel des Königs Akrisios. Und er tat es. Er wurde auf der Insel wie ein Held empfangen. Sein Ruhm hatte sich in der
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