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 Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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traf dort Klytaimnestra. Bei ihr mußte er keine große Überredungskunst aufwenden, er fand in Klytaimnestras Herzen hinreichend Haß vor. Und welchen Mann redete er der Gattin des Agamemnon als Galan ein? Den Aigisthos. Ja, jenen Aigisthos, der als Siebenjähriger Atreus, des Agamemnon Vater, mit dem Schwert getötet hatte. Nauplios kuppelte zwischen Klytaimnestra und Aigisthos, in Aigisthos fand Klytaimnestra den richtigen Verbündeten im Haß gegen ihren Mann. – Dieses Paar war lebendiger Sprengstoff.
    Sogar die Götter machten sich Sorgen. Hermes wurde vom Olymp heruntergeschickt, um den Aigisthos zu warnen: »Tu das nicht«, sagte er, »es wird ein bitteres Ende finden.«
    Aber Aigisthos ließ sich nicht umstimmen, moralische Skrupel kannte er nicht. Und auch Klytaimnestra hatte längst jede Hemmung abgelegt.
    Sie sagte zu Aigisthos: »Wenn du mich nur ein wenig liebst und wenn du alles bekommen willst, was mir gehört, und mir gehört alles, dann hilf mir, meinen Gatten Agamemnon zu töten. Denn mein Leben hat nur noch dieses eine Ziel: Ich will ihn tot sehen.«
    Aigisthos versprach ihr seine Hilfe. Er war der Sohn des Thyestes, seit seiner Kindheit galt ihm ein Motto: Die Atriden müssen vernichtet werden.
    Dann kehrte Agamemnon aus Troja zurück. Er kam nicht allein, er brachte Kassandra, die trojanische Seherin, als seine Beute mit.
    Klytaimnestra lud ihn ins Bad. »Nach so vielen Jahren Krieg, was wirst du dich nach einem wohlriechenden, heißen Bad gesehnt haben!«
    Agamemnon sagte: »Ja, das habe ich.«
    Und als er ins Bad steigen wollte, warf Aigisthos ein Netz über ihn, und Klytaimnestra stand da mit dem Beil, und sie erschlug Agamemnon.
    Und Aigisthos erschlug Kassandra.
     
    Elektra, die Tochter von Klytaimnestra und Agamemnon, soll angeblich Zeugin gewesen sein, als ihr Vater ermordet wurde – ihr geliebter Vater, sie hatte ihn ja nicht gekannt, er war ja im Krieg gewesen, als sie aufgewachsen war, aber er war für sie das große Vorbild, der Held ihrer Kindheit. Elektra soll mit angesehen haben, wie ihr Vater von ihrer Mutter und dem Liebhaber ihrer Mutter im Bad erschlagen wurde wie ein Ochse im Schlachthaus. Elektra suchte ihren Bruder Orest auf, den die Großeltern aufgezogen hatten.
    Elektra sagte zu Orest: »Du weißt, was du zu tun hast.« Orest war noch ein blutjunger Mann, und er sagte: »Ich weiß nicht, was ich zu tun habe.«
    »Du mußt unseren Vater rächen«, sagte Elektra.
    Man stelle sich das vor! Orest hat weder seine Mutter gekannt, den Aigisthos hat er überhaupt nicht gekannt, und seinen Vater Agamemnon hat er nie gesehen. In was für eine Situation gerät er da! Ein halber Knabe noch! Er will das nicht.
    Elektra sagt: »Gut, ich will dich nicht drängen, geh du nach Delphi. Geh nach Delphi und befrage das Orakel, was du tun sollst.«
    Orest tat es, er ging nach Delphi, und das Orakel sagte: »Du mußt die Blutrache weiterführen. Du mußt deinen Vater rächen. Wenn du es nicht tust, wirst du die Lepra bekommen, sie wird dir dein Fleisch von den Knochen fressen. Dein Körper wird in einem Haufen Schimmel ersticken.«
    So der Wortlaut.
    Nun wußte Orest, daß es nicht nur der Wunsch seiner Schwester Elektra, sondern auch göttlicher Wunsch war: Er sollte seine Mutter töten.
    Er zog Erkundigungen ein, erfuhr, wie sich Aigisthos aufführte, daß er keinen Tag vergehen ließ, ohne daß er sein Wasser auf das Grab des Agamemnon abgeschlagen hatte; daß er auf dem Grabhügel tanzte und dabei rief: »Komm, Orest, verteidige die Ehre deines Vaters, verteidige dein Eigentum!«
    Schweren Herzens machte sich Orest auf den Weg nach Mykene, das er bereits als kleines Kind verlassen hatte.
    Er kam auf den Hof, gab sich nicht als der zu erkennen, der er war. Er führte eine Urne bei sich, sagte, er wolle mit Klytaimnestra und Aigisthos sprechen. Aigisthos war gerade dabei, ein Opfer darzubringen. Man fragt sich: Wem eigentlich? Gab es da noch einen Gott, an den sich Aigisthos wenden konnte? Es ist dies eine unzutreffende, eine christliche Frage, die griechischen Götter waren keine Adepten der Bergpredigt oder irgendwelcher kategorischer Imperative.
    Aigisthos hatte hellseherische Fähigkeiten. Er riß den Tieren den Bauch auf und las in den Gedärmen die Zukunft. Er ließ sich bei Orest entschuldigen, er sei im Augenblick beschäftigt.
    Orest sprach zuerst also mit seiner Mutter Klytaimnestra allein. Er sagte: »Ich habe deinen Sohn Orest gekannt, er ist gestorben. Ich bringe dir in der

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