Sagen von der Alhambra (German Edition)
Gefolge ab. Die wachsame Fredegonda gab auf den königlichen Zug Acht, wie er aus dem Thore der Gerechtigkeit herauskam und den großen Weg, der in die Stadt führt, hinabging. Als die letzte Fahne aus ihrem Auge entschwand, wendete sie sich freudig zu dem Thurme, denn alle ihre Sorgen waren nun vorüber. Zu ihrem Erstaunen scharrte ein leichtes arabisches Pferd den Boden am Gartenpförtchen, – zu ihrem Schrecken sah sie durch das Rosengebüsch einen Jüngling in buntschmuckem Kleide zu den Füßen ihrer Nichte. Bei dem Schalle von Fußtritten bot er ihr ein zärtliches Lebewohl, sprang leicht über den Myrten-und Schilfzaun, schwang sich auf sein Roß und war augenblicklich verschwunden.
Die zärtliche Jacinta verlor in der Heftigkeit ihres Kummers jeden Gedanken an den Unwillen ihrer Tante. Sie stürzte sich in ihre Arme und brach in Seufzer und Thränen aus.
»Ay de mi!« rief sie; »er ist fort! – er ist fort! – er ist fort! – und ich werde ihn nie wieder sehen!«
»Fort? – Wer ist fort? Was war das für ein Jüngling, den ich zu deinen Füßen sah?«
»Ein Page der Königin, Tante, der mir Lebewohl gesagt hat.« – »Ein Page der Königin, Kind?« wiederholte die wachsame Fredegonda schwach. »Und wann wurdest du mit einem Pagen der Königin bekannt?«
»Am Morgen, an welchem der Geierfalke in den Thurm kam. Es war der Königin Geierfalke, und er suchte ihn bei uns.«
»O albernes, albernes Mädchen! Wisse, daß es keine Geierfalken gibt, die halb so gefährlich sind, wie diese jungen windigen Pagen, und gerade so einfältige Vögel, wie du einer bist, fassen sie am ersten mit ihren Krallen.«
Die Tante war anfangs unwillig, als sie erfuhr, daß, trotz ihrer gerühmten Wachsamkeit, ein zärtlicher Verkehr von dem jungen Liebespaar fast unter ihren Augen unterhalten wurden war. Als sie aber fand, daß ihre arglose Nichte, obgleich sie so, ohne den Schutz von Riegel und Schloß, den Ränken des entgegengesetzten Geschlechtes ausgesetzt war, die Feuerprobe unversengt bestanden hatte, tröstete sie sich mit der Ueberzeugung, daß solches nur den keuschen, vorsichtigen Grundsätzen zuzuschreiben sei, in welche sie sich so zu sagen bis an die Lippen getaucht hatte.
Während die Tante diese lindernde Salbe auf ihren Stolz legte, erinnerte sich die Nichte der oft wiederholten Schwüre der Treue des Pagen. Aber was ist die Liebe des rastlosen, umstreifenden Mannes? Ein irrer Strom, der eine Zeitlang mit jeder Blume an seinem Ufer tändelt, dann dahinfließt und sie alle in Thränen zurückläßt!
Tage, Wochen, Monden verflossen, und keine Kunde kam von dem Pagen. Die Granate reifte, die Rebe bot ihre Frucht, die Herbstregen stürzten in Strömen von den Bergen nieder; die Sierra Nevada umkleidete sich mit ihrem schneeigen Mantel, und die Winterstürme heulten durch die Säle der Alhambra – immer kam er nicht. Der Winter verging. Wieder brach der muntere Frühling hervor, von Gesang, Blüthen und duftigen Zephyren begleitet; der Schnee schmolz auf den Bergen, bis keiner mehr blieb als der auf dem luftigen Gipfel der Nevada, der durch die warme Sommerluft glänzte. Allein immer ließ sich nichts von dem vergeßlichen Pagen hören.
Unterdessen wurde die arme kleine Jacinta blaß und gedankenvoll. Sie gab ihre früheren Beschäftigungen und Vergnügen auf, ihre Seide lag verwirrt da, die Guitarre unbezogen, ihre Blumen wurden vergessen, die Töne ihres Vogels überhört und ihre sonst so glänzenden Augen waren von heimlichem Weinen getrübt. Wenn irgend eine Einsamkeit geeignet ist, die Leidenschaft eines liebesiechen Mädchens zu nähren, so ist es ein Ort wie die Alhambra, wo Alles dazu beiträgt, zärtliche, romantische Träumereien zu erzeugen. Sie ist ein wahres Paradies für Liebende: wie traurig daher, in einem solchen Paradies allein zu sein, – und nicht nur allein, sondern verlassen!
»Ach, albernes Kind«, – sagte wohl die gesetzte, unbefleckte Fredegonda, wenn sie ihre Nichte in ihrer trüben Laune sah, – habe ich dich nicht vor den Listen und Tücken dieser Männer gewarnt? Was konntest du denn auch von dem Abkömmling einer stolzen ehrgeizigen Familie erwarten? – Du, eine Waise, der Sprößling eines gesunkenen, verarmten Geschlechtes? Sei überzeugt, wenn der Jüngling auch treu wäre, würde sein Vater, einer der stolzesten Edeln am Hofe, seine Verbindung mit einem so niedrigen, armen Wesen, wie du bist, untersagen. Fasse daher Muth und scheuche diese eiteln Gedanken aus deinem
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